Familienpoltik:German Angst macht unfruchtbar

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Sie lieben Blockflöten-CDs, kosten Hunderttausende und trotzdem machen Kinder glücklich. Ein Plädoyer.

Von Alex Rühle

Es ist merkwürdig, wie viele der Leute, die vor zehn Jahren schrieen, das Boot sei voll, jetzt darüber jammern, dass Deutschland bald aussehen werde wie die Steppe hinter dem Ural; irgendwo wird es dann vielleicht noch ein paar vereinsamte Greise geben, ansonsten aber wird es hierzulande leer und kalt sein. Der familienpolitische Diskurs hat oftmals einen merkwürdig völkischen Zungenschlag: Wir Deutsche sterben aus. Wir müssen den Bestand der bedrohten Art erhalten. Sonst ist das Boot bald so leer wie die Kassen.

Ein Kind kostet hierzulande rund 500.000 Euro. Bis zu seinem bis zu seinem 18. Lebensjahr. Dann fängt das Studieren an. (Foto: N/A)

Reproduktionsrate und wirtschaftliches Produktivitätswachstum scheinen in diesem anschwellenden Null-Bocks-Gesang längst zu Synonymen geworden zu sein. Inzwischen redet sogar Gerhard Schröder, der 1998 die Ministerin Christine Bergmann noch als "Fachfrau für Familie und das ganze andere Gedöns" vorstellte, davon, dass Familienpolitik ein harter ökonomischer Standortfaktor sei. Mag sein. Aber ob die Leute durch solch panischen Zeugungspatriotismus Lust auf Kinder bekommen?

German Angst macht unfruchtbar. Jedenfalls sprechen viele Indizien dafür, dass die Politiker und Medien mit ihren Bedrohungsszenarien alle potenziellen Eltern verprellen: Die neueste Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigt, dass 62 Prozent der befragten Kinderlosen keine Kinder haben wollen, weil sie Angst haben, ihren derzeitigen Lebensstandard nicht mehr halten zu können. 40 Prozent sprechen sich gegen Kinder aus, weil sie glauben, Freizeit oder Beruf würden unter Kindern leiden (SZ vom 3. Mai).

Sie haben natürlich vollkommen Recht. Man ist mit kleinen Kindern ein chaotischer Kleinbetrieb, der irgendwie am Laufen gehalten wird. Man schläft ein paar Jahre lang schlecht bis gar nicht. Über die neuesten Filme und Bücher lässt man sich von kinderlosen Kollegen in der Kantine berichten. Und in Sachen gediegene Wohnungseinrichtung tröstet man sich inmitten umgekippter Bauklotzkisten mit dem Gedanken: Naja, wenn die mal aus dem Haus sind...

Kino oder Kindergarten?

Ja, es gibt gute Gründe gegen Kinder. Die schrecklichen CDs von Rolf Zuckowksi mit der debilen Blockflötenmusik. Eine zehn Tage alte Birne in der Handtasche. Auswahlgespräche in Kindergärten. Und manchmal geheimnist man in das Akademiker-Paar, das im Haus gegenüber in einer blitzblanken Küche ruhig beim Frühstück sitzt und die Zeitung liest, das totale Glück hinein.

Aber in Wahrheit sitzen die Kinderlosen bei ihrem frisch gepressten Orangensaft und lesen dazu in der Zeitung die neuesten Horrorartikel über die Familienpolitik und Deutschlands Zukunft: Studien belegen, dass die einkommensstärkeren Familien ihre Kinderkosten zu 100 Prozent allein tragen. Familien mit Kindern haben ein viel höheres Risiko zu verarmen als kinderlose.

Ein Kind kostet bis zu seinem 18. Lebensjahr 500 000 Euro. Geht das kinderlose Paar ins Bett, hängen all diese Zahlen über ihnen: Lass uns bloß aufpassen, jeder Fehltritt kostet eine halbe Million. - Hat man unseren Eltern auch vorgerechnet, wie hoffnungslos teuer ein Kind ist? Da soll sich noch jemand darüber wundern, dass Akademiker keine Kinder bekommen.

Wenn einem aber das Armutsrisiko Nummer eins am Frühstückstisch gegenübersitzt und begeistert Kiwimatsch in den Tisch einarbeitet; wenn das Armutsrisiko Nummer zwei den Eingangschor des Weihnachtsoratoriums singt, weil darin ja die Pauken aus dem Himmel vorkommen, und dazu auf den Altpapierkorb eindrischt, dann ist es egal, dass die beiden die kommenden 15 Jahre noch viele hunderttausend Euro kosten werden. Um es mal hedonistisch auszudrücken: Alles, was Spaß macht, kostet nun einmal Geld.

Es stimmt wahrscheinlich auch, dass man seine Liebe mit einem gemeinsamen abendlichen Kinobesuch besser pflegt als mit Zimmeraufräumen und dem Verfertigen des Sitzungsprotokolls der letzten Elternrunde. Aber zum einen macht man das alles nur ein paar Jahre lang. Zum anderen sind viele Kinogespräche kinderloser Paare noch langweiliger als jedes Elternprotokoll.

Aller Diskussionen zum Trotz: Kinder machen glücklich. (Foto: Foto: dpa)

Die Mama macht die Arbeit

Ja, es stimmt, die Generation der Mittdreißiger reibt sich die Augen, sobald sie aus dem Kreißsaal kommt: Am Ende ist die Arbeitsteilung doch wieder dieselbe wie früher. Die Männer arbeiten, die Frauen bleiben zu Hause. 80 Prozent der Familienarbeit wird nach wie vor von Frauen geleistet. Nicht einmal fünf Prozent der Männer machen von der Elternzeit Gebrauch.

Die paar, die es doch tun und deshalb bei ihren Chefs vorstellig werden, trauen meist ihren Ohren nicht, so steif und starr reagiert man vielerorts noch immer auf unkonventionelle Arbeitsmodelle. Und es stimmt, dass das Bundesverfassungsgericht seit Jahren gesetzliche Veränderungen zugunsten von Familien anmahnt und die rot-grüne Regierung alles ähnlich einfallslos macht wie die Vorgängerregierung, Prinzip Gießkanne, bloß dass eben noch mehr Euro fließen und versickern.

Aber gleichzeitig findet all dieses Gestöhne und Gejammer in einem der reichsten Länder auf diesem Planeten statt. Die Tatsache, dass man sich bei sechs Kindergärten bewirbt oder wochenlang beratschlagt, welche Schule denn nun am besten sei für den Kleinen, lässt einen manchmal an der eigenen geistigen Gesundheit zweifeln. Früher sind die Kinder in den Kindergarten gekommen und danach in die Volksschule. Und es war auch okay. Andererseits ist das aber ja auch ein Zeichen dafür, wie viele Möglichkeiten man hierzulande hat. Wie wohl der familienpolitische Diskurs in Mali oder Bangladesch aussieht?

Kinder machen glücklich

Es gibt natürlich noch viel gewichtigere Gründe gegen Kinder: die dauernde Angst, etwas falsch zu machen in der Erziehung; die Sorge, dass den Kindern etwas passieren könnte. Aber hat irgendein Großstädter das Atmen eingestellt, als er über den Feinstaub las? Gehen die Leute nicht mehr in die Sonne, seit das Ozonloch wächst? Verreist irgendjemand nicht mehr, bloß weil das gefährlicher ist als zu Hause bleiben?

Zurückübersetzt ins Wirtschaftsdeutsch bedeutet all das: Kinder sind die besten Aktien, die sich denken lassen. Sie haben jährliche Wachstumsraten von mindestens fünf Prozent und erzeugen geheimnisvollerweise bei ihren Besitzern ein nahezu unerschöpfliches Depot an Liebe. Wo das herkommt, ist eines der großen Rätsel des Elternseins.

Leute, rechnet nicht, macht einfach. Rechnen macht arm. Machen macht glücklich. Nicht Deutschland. Einen selber.

© Süddeutsche Zeitung vom 4.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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