Eve-Marie Engels:Rette, wer kann

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1 Ich halte dieses Szenario für suggestiv und von mangelndem exemplarischen Aussagewert für die Komplexität der ethischen Konflikte, mit denen wir es bei der Frage nach dem Umgang mit frühen Embryonen zu tun haben. Dennoch werde ich versuchen, eine Antwort zu geben.

(Foto: N/A)

Sicherlich würden es die meisten von uns für unverständlich, ja für ethisch unvertretbar halten, wenn der Retter den Säugling im brennenden Labor zu Gunsten der zehn Embryonen im Zwei- oder Vierzellstadium zurück ließe. Hierfür gibt es gute Gründe: Als geborener Mensch befindet sich der Säugling in einem Entwicklungsstadium, welches das eines frühen Embryos weit übertrifft.

Er verfügt über Empfindungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten und bereits über eine Biografie, die seine Entwicklung von der Befruchtung an einschließt. Zudem ist er - davon gehe ich hier einmal aus - bereits in einen familiären und sozialen Kontext eingebettet.

Aber was besagt dies für die Frage des moralischen Status des Embryos und für die Frage der ethischen Vertretbarkeit verbrauchender Embryonenforschung? Müssen wir daraus schließen, dass der Embryo in seinen frühesten Entwicklungsstadien kein Lebensrecht hat und daher verbrauchende Embryonenforschung mit therapeutisch hochwertigen Zwecksetzungen ethisch vertretbar, wenn nicht gar geboten ist? Nein! Dies folgt keineswegs. Da wir Menschenwürde und Lebensrecht des geborenen Menschen ganz unabhängig von seinen jeweiligen körperlichen und geistig-psychischen Merkmalen anerkennen, und da dessen Entwicklung von der befruchteten Eizelle an ein kontinuierlicher Prozess darstellt, wäre es willkürlich, die Schutzwürdigkeit von der Herausbildung bestimmter Merkmale während dieses Prozesses abhängig zu machen.

Nur in Konfliktsituationen sind wir gezwungen, auf solche Merkmale als zusätzliche Kriterien zurückzugreifen. Die ethische Diskussion ist auf die Frage zuzuspitzen, ob die Situation der Abwägung zwischen dem Lebensrecht von Embryonen und legitimen therapeutischen Zielsetzungen überhaupt mit dem oben genannten Beispiel vergleichbar ist.

Besteht zwischen diesem und gezielter embryonenverbrauchender Forschung kein Unterschied? Zudem ist bisher vollkommen ungewiss, ob sich die erhofften therapeutischen Ziele jemals realisieren lassen und ob die Behandlung von Patienten mit Geweben, die aus embryonalen Stammzellen gewonnen worden sind, tatsächlich auch eine Lebensrettung beziehungsweise Heilbehandlung darstellt, statt die Patienten schweren Risiken (zum Beispiel Tumorbildung) auszusetzen. Darüber hinaus ist die Frage nach möglichen Alternativen zur verbrauchenden Embryonenforschung, wie etwa die Erforschung des Potenzials adulter Stammzellen, ebenso einzubeziehen wie die nach den Konsequenzen embryonenverbrauchender Forschungen für unser Menschenbild.

Schließlich ist die Frage zu diskutieren, ob verbrauchende Embryonenforschung an überzähligen Embryonen, die verworfen würden, in ethischer Hinsicht anders zu beurteilen ist als die gezielte Herstellung von Embryonen in fremdnütziger Absicht. Ich stelle also nicht die therapeutischen Zielsetzungen der Transplantationsmedizin als solche in Frage, sondern plädiere vielmehr dafür, einen sorgfältigen Blick auf die Mittel ihrer Realisation zu werfen.

2 Die PID ist nicht für die Erfüllung beliebiger Elternwünsche vorgesehen. Sie soll nach Auffassung ihrer Befürworter nur im Falle der Absehbarkeit schwerer Krankheiten des zukünftigen Kindes zur Anwendung kommen dürfen, etwa bei jenen Krankheiten, die derzeit unter die so genannte medizinische Indikation fallen. Die Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Mutter stellt ein Beispiel für eine Konfliktsituation dar, in der ich eine Abwägung zwischen dem Leben des Ungeborenen und dem der Mutter für ethisch vertretbar halte.

Und hier wäre nun zu fragen, ob die PID und der Verzicht auf die Übertragung des Embryos in den Mutterleib in diesen Fällen nicht das geringere Übel im Vergleich zum Abbruch einer Schwangerschaft darstellt, bei der sich der Embryo oder Fetus bereits in einem wesentlich fortgeschritteneren Entwicklungsstadium befindet. Allerdings müsste es strenge Regulierungen zur Vermeidung möglichen Missbrauchs geben.

Wenn ich hier von "geringerem Übel" spreche, soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnose für die betreffenden Frauen häufig mit schwerwiegenden ethischen Konflikten und psychischen Traumata verbunden ist. Auch verdienen jene Mütter unsere besondere Unterstützung, die sich für ein behindertes Kind entscheiden. Und hier ist vor allem unsere Gesellschaft und damit jeder Einzelne gefragt, am Aufbau einer behindertenfreundlichen Lebenswelt mitzuwirken.

3 Diese Fragen lassen sich meist nicht mit einem simplen "Ja" oder "Nein" beantworten. Die Richtung meiner Antworten habe ich oben bereits angedeutet.

Die Autorin ist Professorin für Ethik in den Biowissenschaften an der Universität Tübingen.

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