Eurovision Song Contest:Der Schmerz ist gewaltig

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Die Schmach des Grand-Prix-Abends sitzt noch tief, die brutalstmögliche Osterweiterung wird allgemein betrauert. Dabei müssten wir nur tief in uns hineinhorchen, um uns selbst zu trösten. Ein Streiflicht.

Selbst wer sich den Song Contest von Helsinki live erspart hatte, entkam der Sache nicht, denn früh am Montag machte die Boulevardpresse unsere nationale Schande offenbar. Glaubt man der Bild, dann war der 19. Platz für Deutschland das Ergebnis eines Komplotts, bei dem ein Ostland dem anderen die Punkte zuschusterte, sodass für die Bewerber aus dem Westen letztlich kein Blumentopf zu gewinnen war, vom Grand Prix gar nicht zu reden. Die brutalstmögliche Osterweiterung, wenn man so will. Der Schmerz ist gewaltig, und unter "Urgesteinen" wie Nicole festigt sich die Meinung, dass man bei dieser Veranstaltung nichts mehr verloren habe.

Bei so viel Verfinsterung wendet sich der Blick nach innen. Man fragt sich, ob es nicht von zu Hause etwas Schönes, womöglich Tröstliches zu vermelden gibt, ob nicht vielleicht im heimischen Liedgut die Wärme steckt, die uns den kalten Ostwind besser ertragen lässt.

Nehmen wir das Kufsteiner Lied. Obwohl es keinen deutschen Ort besingt, sondern einen österreichischen, geht es so unmittelbar zu Herzen, als würde es intravenös gespritzt. Es handelt sich um ein Walzerlied aus der Feder Karl Ganzers, das in seiner ersten Strophe fragt, ob man Kufstein kenne, "die Perle Tirols". In der zweiten schildert es, was Kufstein alles vorhält, nämlich "ein gutes Weinderl" und Maderl, mit denen man ein Glaserl von diesem Weinderl trinken kann, und in der dritten feiert es den Abschied von Kufstein und vom Maderl.

Kulturgut Kufsteiner Lied

Jede der drei Strophen mündet in den Jodler "Ho-la-re-di ri-di ri-di ri, ho-la-ri ho-la-rei di-jo-la-ri", und wer beim Oktoberfest an dieser Stelle nicht sowieso schon auf der Bank steht, der wird von den anderen emporgerissen und in eine Schunkelei verwickelt, dass ihm Hören und Sehen vergeht, Weinderl und Glaserl und Maderl eingeschlossen.

In Passau kam es nun wegen dieses an sich friedlichen Liedes zu einem Vorfall, den die Polizei zunächst als Randaliererei, dann als Ruhestörung, letztlich aber als allgemeinbildende Maßnahme zu den Akten nahm. Ein 57-jähriger Mann hatte in der Innenstadt einem 55-Jährigen das Kufsteiner Lied vorgesungen, und zwar aus dem einzigen Grund, dass es der Jüngere nicht kannte.

Wenn er dabei etwas lauter als üblich wurde, so kam das möglicherweise daher, dass er sich verschaukelt vorkommen musste: Man kann in diesem Land mit 55 manches nicht kennen, aber wer vorgibt, in 55 Jahren das Kufsteiner Lied nicht gehört zu haben, der hat wahrscheinlich auch sonst allerlei zu verbergen und sollte in nächster Zeit von Heiligendamm ferngehalten werden.

Mit den Liedern aus den letzten Grand-Prix-Jahrgängen gibt es vergleichbare Probleme nicht: Weder erregt es Anstoß, wenn man sagt, man kenne sie nicht, noch fände sich im Fall des Falles jemand, der sie einem vorsingen könnte.

© SZ v. 15.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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