Eugen Ruge:Die Farbe des Lippenstifts

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Auf die stalinistische Säuberung wartet es sich am angenehmstem im Hotel Metropol: Eugen Ruge dramatisiert die Lücken in seiner Familiengeschichte.

Von Christoph Bartmann

Ein "Doppelzüngler" zu sein, der Verdacht wiegt schwer im Moskau des Jahres 1937, und eigentlich genügt auch schon der Verdacht des Verdachts. Hat der oder die Angeklagte sich abfällig über den Genossen Stalin geäußert, hat sie oder er "feindliche Gedanken gehabt, die Sie nicht geäußert haben"? Im Hotel Metropol, dem Belle Époque-Gebäude gegenüber dem Bolschoi-Theater, hat sich die Paranoia eingenistet. Hierher hat man vor Kurzem die deutschen Kommunisten Charlotte und Wilhelm verbracht, zusammen mit anderen Genossen vom jetzt aufgelösten "Punkt Zwei" der OMS, dem Nachrichtendienst der Komintern. Die Säuberungen haben nun auch die Treuesten der Treuen erreicht, im Frühstückssaal wird es immer leerer, und Charlotte hat allen Grund zu glauben, dass sie als nächste abgeholt wird. Die deutsche Genossin Hilde Tal hat sie denunziert: Charlotte habe, so die schriftliche Mitteilung, mit ihrem Mann "bei dem trotzkistischen Banditen EMEL" verkehrt.

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