ETA Hoffmann-Theater:Aus der Traum

Lesezeit: 2 min

Grillparzers "Goldenes Vlies" in Bamberg aufgeführt

Von Florian Welle, Bamberg

In der letzten Saison widmete sich das ETA Hoffmann Theater dem Thema Heimat. Damals inszenierte Sibylle Broll-Pape zur Eröffnung Hebbels "Die Nibelungen". Jetzt hat man den Blick geweitet. Das spielzeitübergreifende Motto lautet "Europa", und wieder beginnt die Intendantin mit einem theatralen Brocken: Franz Grillparzers "Das goldene Vlies".

1821 uraufgeführt, arbeitet sich das Stück in "drei Abteilungen" am Medea-Mythos ab. Nach dem kurzen "Der Gastfreund" folgen die wesentlich umfangreicheren "Argonauten" und "Medea". Jeder Teil trägt die Bezeichnung "Ein Trauerspiel", womit die Richtung vorgegeben ist. Wir schauen zu, wie die Königstochter und Zauberin aus Kolchis liebt, leidet und sich schließlich bitter rächt. Als eine der faszinierendsten Frauengestalten der Kulturgeschichte reizte sie immer wieder zu neuer Auseinandersetzung, Pasolini ist hier zu nennen, Christa Wolf und Heiner Müller. Dessen "Landschaft mit Argonauten" geistert als Stimmengewirr aus dem Off auch durch die Inszenierung, ohne dass man so genau wüsste, warum. Geschenkt.

Ansonsten hat Sibylle Broll-Pape sehr vieles richtig gemacht. Man kann die Story als frühes Flüchtlingsdrama lesen. Zunächst läuft der Grieche Phryxus vor seinem Vater, der ihm nach dem Leben trachtet, ins ferne Kolchis auf und davon, im Gepäck das goldene Vlies. Später dann wird Medea, mit ihrem Jason zu König Kreon nach Korinth geflohen, in der Fremde nie heimisch werden. Sie bleibt die Barbarin. Anne Lenk hat all dies zuletzt am Residenztheater dazu animiert, für ein bisschen Pegida-Stimmung zu sorgen. Broll-Pape verzichtet bis auf wenige kurze Videoeinspielungen flüchtender Menschen seit dem Zweiten Weltkrieg auf jede Aktualisierung. Dem Zuschauer wird auf der schwarzgetäfelten Bühne, die Kerkerassoziationen weckt, keine Interpretation aufgenötigt. Das ist richtig, liest er doch heute sowieso das Flüchtlingsthema mit, sobald er Worte wie "Gast" und "Gastfreundschaft" hört. Grillparzers Figuren führen diese ständig im Mund und treten sie doch mit Füßen.

Grillparzer hat über sein Stück gesagt, es sei eine Variation des Satzes: "Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, Böses muss gebären." So gesehen handelt "Das goldene Vlies" vom Versagen der Väter: erst des Vaters von Phryxus. Sodann von Medeas Vater Aietes, der den Gast Phryxus meuchelt. Auch Kreon ist alles andere als ein weiser Herrscher. Aber der schlimmste von allen ist Jason. Aus purem Opportunismus kehrt er Medea den Rücken, nimmt ihr gar die Kinder weg. Aietes und Kreon werden von Stephan Ullrich gespielt: aufbrausend der eine, kühl der andere. Daniel Seniuk kommt als Jason nicht nur äußerlich wie Rambo daher. Er erobert Medea, um sie später genauso brutal fallen zu lassen.

Das heißt aber auch: Sibylle Broll-Pape hat nicht vergessen, das Stück als das zu inszenieren, was es in erster Linie ist: die Liebes- und Leidensgeschichte einer stolzen Frau, die für den Mann alles aufgibt - Heimat, Religion, Familie - und erst in der grausamen Tat wieder zu sich selbst findet. Mit Katharina Brenner in Wallekleidung hat die Aufführung ein Kraftzentrum, das den klassisch inszenierten Abend trägt. Zunächst abweisend und spröde wandelt sie sich zur feurigen Geliebten, schließlich zur verbitterten Kindesmörderin: "Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht."

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: