Essay:Auf Nadeln und Messern

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Hysterie um die Model-Show: Warum Schönheit so oft mit Qual, Schmerz und Disziplin einhergeht

Iljoma Mangold

Reden wir noch einmal über die "umstrittene Model-Show" auf Pro7 "Germany's next topmodel". "Rippen-Show" und "Mager-Show" nennt die Bild-Zeitung sie abwechselnd und lässt die Studentin Céline Roschek (22) aus Wien zu Wort kommen, die die Nase voll hat und auspackt. "Ich wusste nie, wann ich die nächste Mahlzeit kriege", erzählt sie und fügt hinzu: "Um elf Uhr nachts servierten sie uns ein paar mickrige Donuts."

Nun, man hat schon von konsequenteren Diäten gehört. Seit jedenfalls Irina, 1,76 Meter groß und 52 Kilo schwer, aus der Show flog, weil sie der Jury "zu dick" erschien, wird die Show gewissermaßen immer noch umstrittener.

"Die Empörung wächst", wie Bild mit lustvoller Erschütterung festhält. Mediziner, Eltern und Politiker schlagen Alarm, der "Mager-Wahn" treibe die jungen Frauen reihenweise in lebensgefährliche Essstörungen. Die FDP-Familienexpertin Cornelia Pieper fordert: "Die Sendung sollte aus dem Programm genommen werden, weil sie junge Mädchen verbiegt. Sie vermittelt ihnen nicht die Werte, die wirklich zählen."

Die Geschichte der Schönheit war nie einfach nur heiter

Politiker haben Recht - es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig -, wenn sie vor den Gefahren der Sendung warnen. Sie haben dabei gewissermaßen das Herz auf dem rechten Fleck - und das ist für jeden Politiker überlebensnotwendig.

Das Wesen der Schönheit aber haben sie damit - volkspädagogisch verständlich - ausgeblendet. Und deshalb sollten sie mit der Rede von den "falschen Werten" vorsichtig sein, denn das ist allzu naiv. Das, was Menschen als schön empfinden, hat sich noch nie von moralischen Werten leiten lassen. Im Gegenteil.

Die Geschichte der Schönheit war nie einfach nur heiter. Schön war immer und in allen Kulturen die Form. Form aber ist nicht das, was sich von selbst einstellt, wenn man den Dingen ihren Lauf lässt. Form ist immer ein Geformtsein, Resultat eines durchaus gewalttätigen Aktes der Veredelung.

Um es bildlich auszudrücken, herrscht in der Welt der Schönheit das Bonsai-Prinzip: Nur durch schmerzhaftes Beschneiden erzielt man die Zierlichkeit der Form. Die Ästhetik des Klassischen hat zwar einige Nebelkerzen geworfen, wenn sie von der Natürlichkeit der schönen Proportion sprach.

Aber auch die klassische Natürlichkeit war ein Prokrustes-Bett, dem man sich auf dem Weg des Selbstdesigns anpasste. Ohne "Verbiegen" ging das nicht. Nur dass man, solange man im kulturellen Paradigma eines bestimmten Schönheitsideals lebt, dessen Unnatürlichkeit nicht wahrnimmt. Wendet man sich fremden Kulturen zu, deren Schönheitsbegriff man nicht teilt, erkennt man das schmerzhaft Zurichtende am Ursprung der Schönheit unmittelbar - und es läuft einem kalt den Rücken herunter.

Nicht ohne Schaudern betrachten wir die eingebundenen Lotus-Füße der Chinesinnen, die uns als reine Verkrüppelung erscheinen, im Reich der Mitte aber als Voraussetzung der Anmut im Trippelschritt wahrgenommen wurden.

Auch der Giraffenhals, wie ihn der Volksstamm der Karen in Thailand als schön und erotisch empfindet, weckt unseren Abscheu. Selbst das europäische Korsett ist schon so historisch geworden, dass wir bei seinem Anblick unwillkürlich nach Luft schnappen, statt erregt zu sein. Während uns die High Heels nicht hochhackig genug sein können, damit wir in schwärmerisches Träumen geraten.

Die Schönheit ist wie die Zivilisation (nämlich als deren Außenseite) ein Prozess der Sublimierung ursprünglicher Gewalt. Andersen hat das in seinem Märchen von der kleinen Seejungfrau sehr genau beschrieben.

Zerstörerische Selbstgefährdung als Teil der Schönheit

Die kleine Meerjungfrau verliebt sich in einen schönen Prinzen und möchte an der menschlichen Gesellschaft teilhaben. Sie bekommt anstelle ihres Schwanzes menschliche Beine - aber um den Preis, dass jeder Schritt so weh tut, als müsse sie, wie es bei Andersen heißt, auf Nadeln und scharfen Messern laufen. Da ist man verdammt nah dran am chinesischen Trippelschritt.

So liegt auf dem Grunde jeder Kultur ein Akt der schmerzhaften Gewalt. Deshalb ist Kate Moss ein so großartiges Model: Die zerstörerische Selbstgefährdung nämlich ist Teil der erhabenen Wirkung der Schönheit. Sie macht ganz im Sinne von Friedrich Nietzsches Tragödien-Schrift den dionysischen Abgrund sichtbar, über dem sich das apollinische Schauspiel der Schönheit entfaltet. Man mag das moralisch bedenklich finden. Unsere Ästhetik aber folgt tieferen Konditionierungen.

Der Volksmund wusste das schon immer: Wer schön sein will, muss leiden. Das Natürliche war nie schön. Das Natürliche ist erfahrungsgemäß das, was aus dem Leim geht. Zugegeben: Frauen wurden diesem Schönheitsideal immer stärker unterworfen als Männer. Man mag das als ungerecht empfinden.

Das Gegenteil vom Bonsai-Prinzip ist der männliche Bierbauch. Er ist das Ergebnis eines natürlichen Sich-Gehen-Lassens. Zur Zierde gereicht er dem männlichen Geschlecht nicht.

© SZ vom 04.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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