Espresso-Maschine:Der italienische Hausfreund

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Indoor-Bolide mit neun Bar Druck: Über das Kultspielzeug des deutschen Aufschäum-Aficionados.

Christopher Schmidt

Sie ist klein, schwer und heißblütig: Bei Außenmaßen von 28 x 30 x 13,5 Zentimetern bringt sie ein Kampfgewicht von 6,5 Kilo auf die Waage. Und obwohl ihre Attribute eher männliche sind, hört sie auf den Frauennamen Mia. Gerade mal drei Minuten benötigt Mias eisernes Herz, um 12 Atmosphären Druck aufzubauen - das ist das Sechsfache dessen, was ein Stahlgürtelreifen aushalten muss. Eine druckgegossene Aluminiumstruktur sorgt dafür, die Kräfte so zu zähmen, dass auf Temperaturen von mindestens 91 Grad erhitztes Wasser mit einem Druck von 8,5 bar innerhalb von 25 Sekunden absolut gleichmäßig durch etwa 8 Gramm Kaffee gepresst wird und jene von einer haselfarbigen Crema gekrönte Pfütze von 25 Millilitern erzeugt, die den Namen Espresso verdient.

(Foto: Foto: TruePixel/ Achim Meissner)

Ein Gerät, das zu so etwas in der Lage ist, darf verlangen, von einem Maschinisten bedient zu werden. Barista heißt der Virtuose hinterm Tresen, und Barista, das ist in seiner Heimat ein Lehrberuf. La macchina wurde nicht zufällig in Italien erfunden, dem Land der Vulkane und der Sportwagen, sie ist das stolze Zeugnis lateinischer Ingenieurkunst. Seine Verwandtschaft mit schnellen Autos bringt beim Espresso-Boliden Mia allein schon die Lackierung seiner Vorder- und Rückfront in Ferrari-Rot zum Ausdruck, aber auch die brutale Eleganz des Designs. Im Leerlauf erzeugt ihre pompa elettrovibrante nur ein potentes Blubbern, aber wenn sie unter Vollbelastung galoppiert, faucht und wiehert sie wie eine Herde von Wildpferden bei der Stampede. Was man da hört, sind die Urschreie der entfesselten Maschine, noch nicht gedämmt und gedrosselt von Akustikdesignern, die das sonore Klangbild heutiger Geräte entwerfen. Denn Mia stammt noch aus einer anderen Zeit, einer Zeit, die abgelaufen ist.

Dass sie überhaupt noch bis vor kurzem in geringen Stückzahlen gefertigt wurde, ist nur der Standhaftigkeit ihrer deutschen Verehrer zu verdanken. Unter ihnen ein kleiner Kreis von Liebhabern, die in München ein kleines Café betreiben und die Maschine über den Tresen verkauften. Mittlerweile ist die Produktion vollends eingestellt worden, einzelne Exemplare sind noch im Umlauf, die Preise steigen ständig.

Boys with Toys

Der Kult um die Mia ist eine extreme Ausformung des Wandels in der deutschen Kaffeekultur. Immer größer wird der Platz, den die Haushaltsabteilungen dem Fuhrpark verschiedenster Kaffee- automaten einräumen. "Immer mehr Deutsche sind bereit, ohne mit der Wimper zu zucken, 700 oder 800 Euro für ein Gerät auf den Tisch zu blättern", sagt Werner Scholz, Geschäftsführer für Elektrohausgeräte im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie (ZVEI) in Frankfurt. Nach bereits sehr guten Ergebnissen in den konsumschwachen Vorjahren, verzeichnet der Verband mit 15 Prozent Steigerung "eine Umsatzexplosion", beflügelt vor allem vom Siegeszug der so genannten Pad- oder Kapselmaschinen. Damit ist dieser Bereich der einzige bei den Elektro-Hausgeräten, der überhaupt zugelegt hat.

Den Trend bestätigt Hans-Ulrich Finck von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg, deren Erhebungen ein ziemlich genaues Verbraucherprofil ergeben. Demnach ist der typische Käufer einer hochpreisigen Maschine bis 2800 Euro männlich, unter 40, verfügt über ein monatliches Einkommen von über 2500 Euro und lebt in Süddeutschland. Während Baden-Württemberg und Bayern sich 41 Prozent des Marktes teilen, entfallen nur zehn Prozent auf den Norden - ein signifikantes Nord-Süd-Gefälle. Hochburg ist die nördlichste Stadt Italiens: München.

"Jeder will heute sein eigener Barista sein" sagt Frank Sanders von der Werbeagentur Jung von Matt, zuständig für das Marketing des Branchenführers Jura aus der Schweiz. Selbst in den Flautejahren 2000 bis 2003 hätte sein Kunde zweistellige Zuwachsraten verzeichnet. "2005 haben wir unseren Umsatz in Deutschland verzwanzigfacht", so Sanders. Beim Mitbewerber Saeco erfährt man Ähnliches. Convenience heißt das Schlagwort der Stunde, entsprechend sind die Zuwachsraten bei den Kaffeevollautomaten, den Alleskönnern, am größten. Immer mehr Geld stecken die Hersteller ins Marketing, um ihre Geschäftsinteressen mit der entsprechend zelebrierten italianitá kulturell zu überhöhen.

(Foto: Foto: TruePixel/ Achim Meissner)

So bietet etwa die Firma Nespresso neben ihren Geräten dem Connaisseur im Internet auch so genannte Grand Crus an, Kaffeesorten in verschiedenfarbig eloxierten Vakuumkapseln. Verschickt werden sie wie handverlesene Preziosen in edlen Holzschatullen. Aber auch im nichtkommerziellen Bereich ist das Internet die Plattform der Kaffee-Kultisten. "Steamtalks" oder "Männerblog" heißen die Foren, auf denen die boys with toys über Aufschäumdüsen und Wasserhärten fachsimpeln. Neben dem Bekenntnis zur mediterranen ars vivendi, stehen weich gezeichnete erotische Phantasien, vorgespurt von jenem schon legendären Signor Antonio, der einst im Nescafé-Spot die schöne deutsche Nachbarin mittels Kaffeeduft in seinen Bau lockte: Sein Satz "Isch 'abe gar kein Auto" - wurde zum geflügelten Wort.

Sound-Files von Espressomaschinen zum Herunterladen

Längst hat sich die Espresso-Maschine von ihrem Gebrauchswert gelöst und ist zum Fetisch geworden. Es geht nicht nur um die Sehnsucht nach einem Doppelleben, darum, nach Feierabend in die Rolle des eigenen Hausfreunds zu schlüpfen und den latin lover im Bürohengst zu entfesseln. Es geht um blitzendes Chrom, um altmodische Kippschalter und nostalgische Rundinstrumente.

Die Maschinen-Fetischisten sind im Wortsinne Steampunker, Retro-Futuristen. Kulturelle Prägungen machen sich hier bemerkbar, drei Beispiele seien zur Erklärung angeführt: 1. Der anscheinend auch im digitalen Zeitalter nicht auszulöschende Wunsch des Mannes nach dem Feuermachen und der Dampfmaschine. 2. Der britische Geheimagent James Bond, der 1973 in "Live and Let Die" in flagranti erwischt wird, doch davon abzulenken versteht, indem er seinem verdutzten Waffenmeister Q die Funktionsweise seiner Hebelespressomaschine vorführt - damals nördlich des Po noch genauso exotisch wie jene Digitaluhr, die Bond im Film trägt. 3. In Wolfgang Petersens "Das Boot" muss das U-Boot einem Tieftauchtest Stand halten. Unter dem extremen Druck stöhnt und ächzt das Material, bevor der Ka-Leu die erlösenden Worte spricht: "Das muss das Boot abkönnen!" - ein Satz, wie geschaffen für jeden Espresso-Fex, diese Kreuzung aus Lebemann und Motorrad-Schrauber.

Im Film horcht der Maschinist Johann mit einem Hörrohr die Motoren ab, ob die Diesel gleichmäßig marschieren. Im Internet gibt es Sound-Files von Espressomaschinen zum Herunterladen, aber einer, dem man es zutrauen würde, dass er das Stethoskop an seine Geräte anlegt, ist Thomas Leeb. Leeb betreibt in München eine Mischung aus Espresso-Bar, Ladenlokal und Museum. Neben dem Dinosaurierfriedhof alter Front- und Backofficemaschinen paradiert seine exklusive Flotte italienischer Modelle. Leeb ist ein Mann, der die verschiedenen Brühgruppen seiner Barmaschine per Palm ansteuert, um die Parameter einzustellen, ein Verfechter des traditionellen Siebträgersystems und so etwas wie der deutsche Kaffee-Guru. Das Standardwerk "Kaffee, Espresso & Barista" hat er verfasst, und wenn man mit ihm spricht, spürt man, dass man es mit einem Erleuchteten zu tun hat.

Lösung oder Emulsion?

Das Erste, was man von ihm erfährt, ist, dass 95 Prozent dessen, was unter dem Namen Espresso laufe, einfach nur ein verkürzter Kaffee ist. "Ein riesiger Etikettenschwindel", der, so Leeb, vor allem den Marktführern, Saeco und Jura, nütze. Der Unterschied zwischen Espresso und Kaffee sei ein chemischer. "Kaffee ist eine wässrige Lösung, Espresso ist eine Emulsion". Erst unter hohem Druck und hoher Temperatur werden die ätherischen Öle aus dem Kaffee gelöst, die in der Crema als feine Adern erkennbar sind. Dem würden die meisten Maschinen gar nicht gerecht werden, weil ihr Innenleben komplett aus Kunststoff gefertigt ist.

Bevor er stolz sein Flaggschiff präsentiert, eine Dallacorte "Mini", die aussieht wie eine Steuerungskonsole aus einem Science-Fiction-Film der fünfziger Jahre, sagt er noch, dass er sich vom Espresso-Boom eine nachhaltige Sensibilisierung erhoffe, ähnlich, wie das vor zwanzig Jahren beim Thema Wein der Fall war. Von der daraus hervorgegangenen Vielfalt habe letztlich die ganze Branche profitiert. Wenn der Trend nicht vorher in sich zusammenfällt wie der Milchschaum eines ungeübten Barista.

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