Entdecker:Hänschen im Sturm

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Raoul Schrott erzählt die Geschichte von Magellans Reise zu den Gewürzinseln und der Erstumsegelung der Welt an einer Nebenfigur. Mit der kann man sich leicht identifizieren.

Von Ingrid Brunner

Die Gewürzinseln! Für heutige Menschen klingt das wie Poesie. Man glaubt ihren Duft förmlich zu riechen. Am 20. September 1519 stach der Portugiese Ferdinand Magellan von Sanlúcar de Barrameda in Südspanien in See. Seine Mission war es, für die spanische Krone eine Westroute zu ebenjenen Gewürzinseln zu erkunden, als Alternative zum langen Weg Richtung Osten, um das Kap der Guten Hoffnung, durch den Indischen Ozean bis zu den Molukken. Tja, und auch wenn allem Anfang Zauber innewohnt: Diese Reise war ein Himmelfahrtskommando. Unterwegs hatte der ehrgeizige, unbarmherzige Magellan Machtkämpfe, Intrigen und Meutereien zu überstehen. Nicht zu reden von den Verlusten in der Mannschaft, von der viele an Hunger, Skorbut und in fürchterlichen Stürmen starben. Nur wenige der 240 Matrosen und nur eines der fünf Schiffe sollten in die Heimat zurückkehren.

Als im Dezember 1520 die Passage zwischen Feuerland und Patagonien, die heute Magellanstraße heißt, endlich gefunden war, nannte der Kapitän den neu entdeckten Ozean Pazifik. Stiller Ozean - so kam der Besatzung nach den brüllenden Winden, die aus allen Richtungen zu kommen schienen, dieses unbekannte Meer vor.

Auch wenn in der Retrospektive alles auf Magellan verweisen mag: Seine Reise und sein Leben endeten bereits auf den Visayas, im Kampf gegen die dortigen Krieger, die sich nicht so ohne Weiteres missionieren und kolonisieren lassen wollten. Die Ehre, als erste die Welt umsegelt zu haben, gebührt dem Schiff Victoria und der überlebenden Besatzung. Einer davon ist der Hannes aus Aachen, er ist der Protagonist in Raoul Schrotts neuem Roman "Eine Geschichte des Windes". Schrott vollzieht den Perspektivwechsel weg von der historischen Person Magellan, oder Mägälä oder Fernão de Magalhães, wie er abwechselnd heißt, hin zu einem Nobody, der mal Hannes, mal Hans und mal Juan heißt.

So stolpert der Hannes aus Aachen als Kanonier Juan Aleman in die Weltgeschichte, in eine Expedition ins Ungewisse, er umrundet die Welt - und dann ein zweites und drittes Mal, so zumindest spinnt Schrott seine Geschichte im Fiktiven weiter. Denn die Quellenlage zu Juan Aleman ist doch recht dürr. Sie erschöpft sich in einer urkundlichen Erwähnung.

Hannes' Weltreise ist eine Verlustgeschichte: Von Nelken, die mit Gold aufgewogen werden, von Ruhm und Ehre, die sie nach ihrer Rückkehr erwarten, träumt er schon bald nicht mehr. Ein Stück madenfreier Zwieback, ein Schluck frisches Wasser täten es auch. Juan Aleman ist kein Held, er ist eher Hänschen klein, der in der Welt umherirrt, aber nicht mehr heimfindet, weil die Winde ihr grausames Spiel mit ihm treiben. Er nimmt den Leser mit auf die Reise in eine Welt, die noch nicht vollends vermessen und kartiert ist. Der Leser kann sich mit Juan mühelos identifizieren. Ergeht es ihm nicht selbst zuweilen so? - Dass er Länder, Sitten, Dinge, auf seiner inneren Karte noch nicht verortet hat? Dass er, wie dieser reine Tor, sich Fremdes aneignet oder sich aburteilend verweigert?

Raoul Schrotts Kunstgriff, den Blick von den großen Entdeckern weg auf die Namenlosen in ihrem Gefolge zu richten, Weltgeschichte an ihnen zu erzählen, ist nicht neu. Aber die Verbrüderung mit dem Hannes aus Aachen funktioniert.

Lesung am Donnerstag, 14.11., 19 Uhr, im Gasteig

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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