"Entartete Kunst":Designer oder Demagoge?

Der nationalsozialistische Architekt Paul Schultze-Naumburg lieferte die Theorie für Hitlers Aktion "Entartete Kunst". Jetzt versucht eine Stiftung, ihn zu rehabilitieren.

Günter Kowa

Es muss ein froher Anlass gewesen sein, der um 1930 eine Gesellschaft auf der Terrasse Paul Schultze-Naumburgs in Saaleck versammelte. Auf einem Foto lächeln neun Gesichter in die Runde. Es stammt aus dem Album des Gastgebers. Der Mahner gegen die zerstörerischen Kräfte der Industrialisierung hatte sich bald nach 1900 am Fuß der Zwillingstürme von Burg Saaleck niedergelassen, hatte die "Saalecker Werkstätten" gegründet und sein Wohnhaus samt Gartenanlage errichtet. Doch das Foto zeigt, welche Gesellschaft er mittlerweile um sich geschart hatte: etwa den "Reichsbauernführer" Walther Darré oder Hans F.K.Günther, bekannt als "Rasse-Günther", der in Weimar Rassekunde lehrte.

Es ist ein Gruppenbild verwandter Geister. 1928 schrieb Schultze-Naumburg in Saaleck "Kunst und Rasse", das Buch, das den Boden für die Aktion "Entartete Kunst" bereitete. Auch wenn der zum Rassetheoretiker mutierte Architekt neoklassischer Gutshäuser daran keinen unmittelbaren Anteil hatte, so ist es doch diese Verstrickung, die seiner historischen Bewertung anhaftet wie Pech. Alle Versuche, den Makel zu relativieren, weil Schultze-Naumburg in der ersten Hälfte seines beruflichen Lebens aus seiner konservativ-bürgerlichen Haltung heraus für Heimat- und Landschaftsschutz eintrat, stoßen an die schiere Monstrosität von "Kunst und Rasse".

Bilanz statt Analyse

Wie schwierig der Umgang mit der Gestalt Schultze-Naumburg ist, zeigt sich an seinem Anwesen in Saaleck. Die grandiose Schönheit der Gegend am Saaledurchbruch zwischen steilen Kalkfelsen ist extrem aufgeladen durch die neuzeitlichen Mythen von Rudelsburg und Burg Saaleck - Gründungsstätte der Korporationen die eine, Zuflucht der Rathenau-Mörder Fischer und Kern die andere. Rechtslastige Organisationen haben diese Orte zu Wallfahrtszielen erklärt.

Insofern ist es keine nur lokale Angelegenheit, wenn in Saaleck seit Jahren eine "Stiftung Saalecker Werkstätten" das Erbe Schultze-Naumburgs zu ihrer Aufgabe macht. Soeben hat sie in einem Nebengebäude, dem sogenannten Architektenhaus, eine Ausstellung mit elf Tafeln zu dessen Leben und Werk eröffnet, die durchaus beflissen ist, daraus die Schattenseiten aufzuzählen. Der Vorsitzende Bernd D. Romswinkel, der aus Gladbeck stammt, beruft sich dabei auf einen wissenschaftlichen Beirat, dem der Schultze-Naumburg-Biograph Norbert Borrmann vorsitzt.

Ähnlich wie Borrmanns Buch von 1989 geht die Ausstellung den Gegenstand nicht unkritisch, aber doch mit unterschwelliger Sympathie an. Schultze-Naumburg wird sozusagen grün eingefärbt, seine "Bedeutung" wird auf sieben der Tafeln gegen seine "Problematik" auf vier Tafeln ausgespielt. "Kunst und Rasse" nimmt genauso viel Raum ein wie sein Appell von 1901 zur Abschaffung des Korsetts in der Frauenmode. Seine "Säuberung" der Weimarer Hochschule und der Kunstsammlungen im Schloss wird erwähnt, nicht aber seine Rolle während der Schließung des Dessauer Bauhauses. Die Summe seines Wirkens wird zusammengefasst mit "Maler, Architekt, Kulturreformer und ,Kulturkämpfer"'. Den Ansatz zu einer Analyse seiner Architektur und der Ursprünge seiner NS-Verstrickung ist nirgends erkennbar.

Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass mit den Tafeln ein Beweis für die kritische Auseinandersetzung mit Schultze-Naumburg vorgelegt werden soll. Ob die Stiftung dazu ernsthaft willens ist, muss aber bezweifelt werden. Als sie bis vor zwei Jahren noch den Zugang zum gesamten Anwesen hatte - Haupthaus und Garten wurden seither versteigert, das Haus steht leer - zeigte Romswinkel dort eine dilettantisch aufgemachte Ausstellung, die Schultze-Naumburg zum Vorkämpfer der Heimatpflege machte. Zum ausgedehnten, finanziell vom Land geförderten Kulturprogramm der Stiftung gehörten Liederabende mit Männerchören und Kunstkurse für Schüler. Und natürlich auch wieder wissenschaftliche Vorträge, aus denen - spät genug - ein Beirat hervorging.

Personell damals noch anders zusammengesetzt, fand dieser deutliche Worte: "Eindruck einer unkritischen Schultze-Naumburg-Renaissance...eine wenig durchdachte Ausstellung...eher esoterisches Zentrum als inhaltlich offene Begegnungsstätte". Den gültigen Beweis des Gegenteils bleibt die Stiftung weiter schuldig.

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