Endlich Zeit für...:Irritationen

Lesezeit: 2 min

Der Autor Benjamin Stein verlangt seinen Lesern viel ab. (Foto: Chris Janik)

Benjamin Steins "Das andere Blau"

Von Antje Weber

Dieses Buch hat eine besondere Geschichte. "Mir war von Anfang an klar, dass es sich um einen nicht leicht verdaulichen Text handelt", schreibt Benjamin Stein im Nachwort. "Mein damaliger Verleger konnte sich mit dem Buch überhaupt nicht anfreunden. Er konnte oder wollte sich nicht einmal dazu äußern, und so haben wir uns darüber schließlich entzweit." Für Stein jedoch ging es um alles oder nichts: "So, sagte ich, will ich Literatur machen. Wenn es dafür keine Leser gibt, brauche ich auch nicht schreiben." Sein Manuskript fand keinen anderen Verleger, es erschien erst Jahre später in einer Kleinstauflage im Autorenverlag Edition Neue Moderne. Konsequenterweise hörte Benjamin Stein tatsächlich auf zu schreiben, für mehr als zehn Jahre. 2010 versuchte er sich doch wieder an einem Roman - und bekam für "Die Leinwand" sogleich den Münchner Tukan-Preis zugesprochen.

Im ablaufenden Jahr ist sein einst abgelehntes Buch "Ein anderes Blau" nun, komplett überarbeitet, neu erschienen: im Berliner Verbrecher Verlag, der zudem auch Steins überarbeitetes Debüt "Das Alphabet des Juda Liva" unter dem neuen Titel "Das Alphabet des Rabbi Löw" wieder herausgebracht hat. Beide Ausgaben sind schön und klar gestaltet, in Leinen und mit Leseband, und sie bieten eine gute Gelegenheit, neue Facetten im Werk des Münchner Schriftstellers zu entdecken.

Auf einige Irritationen sollte man sich bei "Ein anderes Blau" dabei schon gefasst machen, doch in diesem Fall empfiehlt sich ein weiterer Blick ins Nachwort: "Der Text muss keineswegs von Anfang bis Ende gelesen werden", rät Stein, denn er sieht sein Buch als ein "Mosaik aus Monologen"; als ein Musikstück, "in das man immer wieder für ein paar Minuten hineinhören kann", oder auch als Lyrik-Band, den man "an einer beliebigen Stelle aufschlagen kann".

Und was liest man dann, um endlich zum Inhalt zu kommen? Man liest eine vielstimmige Variation über das Sterben und Abschiednehmen. Konkret: Die Stimmen gehören Menschen, die vom Unglück in Trudering im Jahr 1994 betroffen waren. Damals sackte, in München bis heute unvergessen, ein Bus durch die Straßendecke, 36 Menschen wurden verletzt, drei starben.

Diese Sterbenden setzt Stein nun, fiktiv und symbolisch überhöht, miteinander in Beziehung, imaginiert sich in ihre Leben, ihre Träume. Der Autor lässt seine Figuren abwechselnd in somnambulen Sequenzen aus einem Zwischenreich sprechen. Das ist literarisch recht gewagt, und das teilweise fast schon Trakl'sche Pathos, mit dem die Sprache getränkt ist, wird manche Leser zusätzlich verstören. Und doch: Die verdichtete Sprache hat auch eine soghafte Kraft.

Letztlich geht es Benjamin Stein darum, die Grenzen zwischen Leben und Tod auch literarisch durchlässig zu machen. Es geht ihm um die Frage, "wann der Tod unwiderruflich ist und ob ein Herz auf dem Weg über den nächtlichen See noch gesehen werden und Schutz suchen kann". Ja, dies ist ein besonderes, vielleicht allzu schwer verdauliches Buch. Doch seine Geschichte ist noch nicht zu Ende.

© SZ vom 30.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: