Endlich Zeit für :Geschichte wird gemacht

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Zu ihrem 125. Geburtstag beschenken sich die Münchner Philharmoniker mit einer CD-Box, die eigene Aufnahmen von 1953 bis 2018 versammelt

Von Egbert Tholl

Vier Takte im Dreivierteltakt, eine kleine Melodie, hingekritzelt auf einen Zettel. Darunter steht: "Sehr erfreut, wieder einmal in München zu sein und herzlichsten Dank an die Philharmoniker." Das schrieb Paul Hindemith am 6. Februar 1949. Der Zettel ist Bestandteil des goldenen Buchs der Münchner Philharmoniker und abgedruckt im Büchlein der CD-Box, die sich das städtische Orchester Münchens zum eigenen, 125. Geburtstag geschenkt hat.

17 CDs, darauf versammelt Aufnahmen von 1953 bis 2018, ausgewählt nach einem leicht aleatorisch wirkenden Prinzip. Dem folgt auch das Büchlein, das den Mut zur Lücke pflegt. Es gibt hier eine Ahnengalerie der Chefdirigenten nach 1945. Der erste, Hans Rosbaud, fehlt, ebenso Christian Thielemann. Von dem ist zwar eine Aufnahme in der Box mit dabei, aber keines seiner Leib- und Magenstücke, sondern Schuberts neunte Symphonie. Kein Bruckner - der fehlt in der Box völlig -, auch nicht das "Meistersinger"-Vorspiel, das Thielemann hinzauberte wie kein Zweiter. Schuberts große C-Dur-Symphonie kommt hier mit einem unverhohlenen Referenzanspruch daher, wird zum Monument, das keine Fragen zulässt. Und noch etwas: Rudolf Kempe, Chef von 1967 bis 1976, taucht zwar in der Ahnengalerie auf, ist aber mit keiner Aufnahme vertreten. Wer auch immer dafür verantwortlich ist: Man kann sich des Eindrucks nicht entziehen, hier wurde die Erinnerung an die Geschichte des Orchesters aktiv mitgestaltet.

Dennoch ist das, was man hören kann, spannend. Die Aufnahmen bilden auch 65 Jahre Interpretationsgeschichte ab. Niemand würde heute eine "Eroica" noch so dirigieren wie Knappertsbusch 1953, aber die monumentale Wucht und die hymnische Größe überzeugen in ihrer Unabdingbarkeit. Ebenso die Gesamtaufnahme der "Zauberflöte" unter Fritz Rieger: Das Tempo ist gemächlich bis zur völligen Irritation; 1964 war man von Erkenntnissen historischer Aufführungspraxis noch weit entfernt. Aber die Besetzung ist fabelhaft: Rothenberger, Köth, Wunderlich, Prey.

Zubin Mehta dirigiert Mozarts Requiem mit fast schon absurder symphonischer Dichte und das "Ave verum" mit berückender Heiligkeit. Lorin Maazel macht klar, dass Verdis Requiem für ihn eine Messe (und keine Oper) ist. Günter Wand zaubert eine Fünfte von Schubert mit herrlicher Sanglichkeit hin. Pfitzners "Von deutscher Seele" ist unter Hort Stein brünstige Klangideologie, voller Mystik, schrägem Humor, aber auch hier ist die Besetzung toll und der Klangzauber wirkt. Und James Levine beweist, dass Oper für ihn Theatermusik ist - Berlioz' "Damnation de Faust" versteht man in jeder Szene, wenn man nur eine allgemeine Ahnung vom Faust-Mythos hat und das Libretto gar nicht kennt. Celibidache gibt sich disparat: Prokofjews "Skythen-Suite" ist ein bis an die Grenzen ausgereiztes Erlebnis, die Ausschnitte aus "Romeo und Julia" zerfasern.

Die beiden letzten CDs gehören dem aktuellen Chef, Valery Gergiev. Russisches Repertoire, zart, explizit, voller toller Solostellen. Am 30. und 31. Dezember ist der Chef allerdings nicht da, sondern Fabio Luisi dirigiert die Philharmoniker und Beethovens Neunte.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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