Endlich Zeit für...:Ewiges Lieben

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"Die Nacht der Nächte" - ein Dokumentarfilm mit Herz

Von Josef Grübl

Jedes Jahr dasselbe: In den Tagen und Nächten rund um Weihnachten werden selbst die abgebrühtesten Zeitgenossen sentimental und schwärmen von Harmonie, Liebe und ewigem Glück. Das mag auf übermäßigen Glühweinkonsum oder exzessives "Last Christmas"-Hören zurückzuführen sein - oft haben diese Herrschaften aber auch von irgendwelchen entfernten Verwandten gehört, die selbst nach 50 Ehejahren so glücklich wie am ersten Tag seien.

Doch ist das wirklich so? Wie sieht das Leben von Paaren aus, die mehr als ihr halbes Leben zusammen sind? Davon berichten Yasemin und Nesrin Samdereli in "Die Nacht der Nächte". In dem in jahrelanger Arbeit entstandenen Dokumentarfilm, der unter anderen mit Hilfe der Münchner Produzenten Anja-Karina Richter und Christian Becker realisiert wurde, begleiten die beiden Filmemacherschwestern vier Langzeitpaare aus Deutschland, Japan, Indien sowie den USA und erhielten mitunter recht intime Einblicke in deren Leben.

Da wären etwa die Eheleute Hildegard und Heinz aus dem Westfälischen, die sehr offen über ihre Hochzeitsnacht erzählen und die sich heute nicht nur über das selbstgekachelte Ehebett streiten. Oder die beiden Rentner Norman und Bill aus Pennsylvania: "Ich wusste sofort, dass wir entweder beste Freunde oder ein Liebespaar werden", sagt einer von ihnen. Dass sie sich erst adoptieren mussten, um heiraten zu können, ist eine andere Geschichte. Am traurigsten stimmen einen die Erzählungen von Shigeko und Isao, dem seit mehr als 60 Jahren verheiraten japanischen Paar. Ihre Ehe wurde arrangiert, Liebesheiraten seien damals nicht üblich gewesen, sagen sie. Am Hochzeitstag habe sie kein einziges Wort mit ihrem Gatten gesprochen, klagt sie; in all den Jahren danach habe er sie nicht gut behandelt. Nur einmal machten sie einen Ausflug zur Kirschblüte, da habe er ihr eine Banane gekauft: "Aber das war's." Am Ende eines langen Lebens wischt sich der alte bucklige Mann neben ihr eine Träne aus dem Auge und sagt: "Ich hätte netter zu ihr sein sollen."

Die Filmemacherinnen treffen stets den richtigen Ton, ihr Werk geht ans Herz. Das erkannte auch die Jury des Bayerischen Filmpreises, die ihn im Januar 2018 als besten Dokumentarfilm des Jahres auszeichnete. Bei der Premiere im Münchner Rio Filmpalast im April gab es viel Applaus, trotzdem ist "Die Nacht der Nächte" einer der großen Kinoflops des Jahres 2018: Nach drei Wochen hatten den Film gerade einmal 8000 Kinobesucher gesehen, sehr viel mehr wurden es auch in der Endabrechnung nicht. Mit ihrem Vorgängerfilm, der Culture-Clash-Komödie "Almanya - Willkommen in Deutschland" erreichten die Samdereli-Schwestern 2011 noch ein Millionenpublikum. Das zeugt einerseits von einem historisch schlechten Kinojahr, andererseits ist es der traurige Beweis dafür, dass Dokumentarfilme im Kino fast immer auf verlorenem Posten stehen.

Während sich Festivals wie das Dok-Fest auch im Jahr 2018 über ausverkaufte Vorstellungen freuten, liefen hervorragende Dokus wie "Auf der Suche nach Ingmar Bergman", "The Cleaners", "Geniale Göttin", "Eldorado" oder "Love, Cecil" nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit. All diese Filme haben eine zweite Chance verdient, sie sind mittlerweile (wie auch "Die Nacht der Nächte") auf DVD erschienen oder auf Streaming-Plattformen zu sehen. Sie zielen auf Herz und Hirn, und das nicht nur in den Tagen und Nächten kurz vor Weihnachten.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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