Ende einer Ära:Mein schwerster Sony

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Wer redet von kaufen, abstoßen ist alles. Oder hängen Sie noch an Ihrer einstmals für gutes Geld eingekauften Stereoanlage?

KARL BRUCKMAIER

Mein Doppelcassettendeck schreit. "Natürlich, ist ja auch ein Sony", zischt mein Tuner, aber vermutlich bloß, weil er sich für etwas Besseres hält. Er ist nämlich von Luxman. Was den Plattenspieler von Audio Linear nur ein müdes Zuschnappen mit seiner Acryl-Zarge kostet: Echter Hi-End-Adel verpflichtet. Den Verstärker von Yamaha und den Nakamichi-CD-Player hat er in all der langen Zeit und nach zwei Umzügen noch nicht ein Mal gegrüßt. Und den Sony schon gar nicht.

(Foto: N/A)

Aber das ist nicht der Grund, warum mein Sony schreit. Auch ich kenne den Grund nicht. Denn wenn der Sony schreit, ist keine Zeit für Fehlerdiagnose oder Ursachenforschung. Dann hilft nur noch Ausschalten. Und jeder Sekundenbruchteil zählt. Wenn der Sony schreit, dann ist das ein sehr hochfrequentes Kreischen, das gleichzeitig ein Schaben und ein Klirren und ein Krähen ist, die Gesamtheit aller schlimm-schrillen Laute: ein Schrei einfach, etwas, das bis in die Nachbarhäuser in der Parallelstraße hinein blankes Entsetzen auslöst; die Familie stürzt aus den Zimmern, die Nachbarn an die Fenster, die Hunde auf der Straße krümmen sich. H. P. Lovecraft lässt am Ende seiner Erzählungen gelegentlich eine seiner Monstrositäten einen finalen Schrei ausstoßen, dessen schreckliche Wirkung sich mir als jugendlichem Leser nie wirklich erschloss. Heute weiß ich, H. P. Lovecraft besaß ein Sony Doppelcassettendeck.

Ich habe eine Vermutung, warum mein Sony schreit. Es sage nun keiner, die haben wir auch - schließlich lesen wir Ihre Musikkritiken und ahnen, was der so alles abspulen muss. Mein Sony schreit, weil mein Fujitsu Siemens sein Laufwerk nicht halten kann. Der gut drei Jahre alte Rechner steht nur einen Schritt entfernt vom Doppelcassettendeck, und seit er ahnt, dass der Innovationszyklus ihn bald holen wird, meine ich Zeichen von sadomaschinöser Zerstörungswut am dereinst eher gefühlsarmen Computer zu bemerken, ein Bildschirmflackern hier, ein ständiges Zusammenbrechen der Internetverbindung da. Die Weigerung, ein Laufwerk zu finden. Man kennt das. Und daher ist der alten Fujitsu-Mähre auch zuzutrauen, dass sie in stiller Nacht dem Sony folgende Nachricht überbracht: "PC-Technik und Pantoffelkino üben Kooperation - und die Stereoanlage wird zum Relikt." Der Stil verrät die Herkunft der schlechten Nachricht: "Pantoffelkino", so schreiben nur Spiegel-Redakteure - und das online.

Der mechanische Schmerzensschrei meines Doppelcassettendecks steht scheint's für den Schrei einer ganzen Branche, für den letzten Schrei, den sie uns tagtäglich und andauernd seit vielen Jahren andrehen wollten. War es eine Quadrophonie-Anlage, die wir erstanden, dann setzte sich der Walkman durch. Stellten wir um auf 8-Track-Cassetten, hätten wir eigentlich einen Röhrenvorverstärker erwerben sollen. Kaum stand der DAT-Recorder herum, redeten alle nur noch von der Mini-Disc. Die CD brummte ihr verlässlich Lied vom ewigen Umsatz-Plus, bis man ihr SACD und DVD zugesellte wie dem Heiland am Kreuz die beiden Schächer: "Noch heute wirst Du mit mir im Media Markt sein." Und an allen Formaten und Geräten saugt und frisst das Grundübel moderner Stereophonie-Ermattung, der böse Download, geboren aus der selben Ursuppe von Fraunhofer- Institut und taiwanesischem Hinterzimmer, die ständig neue Unterhaltungstechnologie auf den Weltmarkt spuckt. Nur dass die Bewohner dieses Weltmarkts merkwürdig kaufmüde geworden sind: So soll in den USA der Umsatz bei Stereo-Komponenten in fünf Jahren auf ein Zehntel zusammengeschnurrt sein. Da schreit nicht nur mein Sony. Da schreit ganz Sony.

Wer heute älter ist als fünfzig, der wusste und weiß die erlösende Wirkung zu schätzen, die ein auf 33 Umdrehungen pro Minute abgespieltes Vinylalbum in stereophoner Wiedergabequalität entfalten mag. Ein Vierzigjähriger kann sich eine Sozialisation ohne das Gesamtkunstwerk Schallplatte nicht mehr vorstellen. Und ein Dreißigjähriger empfindet es als quasi naturgegeben, dass die Musikwelt nicht nur aus Hitsingles besteht: nur die heutige Jugend - Kummergrund seit Menschengedenken - weiß weder, dass Geiz eine der sieben Todsünden noch dass Geilheit ein kaum beherrschbarer sexueller Erregungszustand ist und kann daher davon ablassen, silberfarbenes Kästchen auf silberfarbenes Kästchen zu stapeln, bis ein meterhoher Heimaltar zur Wiedergabe von Gitarrensolos aufgetürmt ist, sondern sie schiebt ihren iPod in die Tiefen ihrer rätselhaften Beinkleider, den Speicher voll mit dubios erworbenen MP3-Files in ebenso dubioser Klangqualität. Und die moderne Mae West, wenn sie ihren modernen Cary Grant zur Begrüßung taxiert, sie muss heute sagen: "Ist das Dein MP3-Stick oder freust Du Dich bloß, mich zu sehen?"

Glückliche Jugend, frei von den Zwängen einer Religion namens Hifi? Irrtum, der Name mag wechseln, doch der Kult bleibt bestehen: Heute heißt das Zauberwort eben Dolby Surround 5.1, und kaum hat man es ausgesprochen, ist das durch einen ultragroßen Plasmabildschirm ersetzte Fernsehgerät zu umgeben mit kleinen, wieseligen Boxen, sind Bassreflexkisten zu platzieren, müssen DVD-Player angeschlossen und Satelliten-Receiver einjustiert werden, dass sich am Ende meine Pop-Kapelle mit dem altmodischen Hifi-Turm angenehm klein und billig ausnimmt neben den Entertainment-Kathedralen, die unsere Geiz-Propheten der zeitgenössischen Käuferschaft als unverzichtbar einreden wollen.

Bis der Wahnsinn, die Leinwand eines Schachtelkinos mit der Soundanlage eines durchschnittlichen Open-Air-Festivals kombinieren zu müssen, auch mich packt, bleibt mir noch Zeit, mich um mein Doppelcassettendeck zu kümmern. Ich lese ihm nun täglich das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten vor, leicht abgewandelt, wo ein Nakamichi zum Sperrmüll gebracht wird, dort einen Yamaha, einen Luxman und einen Sony trifft, wie sie ein neues Heim finden, indem sie eine Bande MP3-Piraten verjagen. Wie der Luxman auf den Rücken des Nakamichi klettert und der auf den Yamaha, und wie oben der Sony thront und schreit: "Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal!"

© SZ v. 16.01.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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