Eindrücke von der "Flick Collection":Bis in alle Ewigkeit

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Für Berlin ein Segen - wenn sie denn da bliebe: Die "Friedrich Christian Flick Collection" in Berlin ist ein Museum auf Zeit.

Von Holger Liebs

Nun also soll es um die Kunst gehen, nur um die Kunst. Man könne sie nicht einfach "wegschließen", sagte Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, während der Pressekonferenz, nur weil man ihrem Sammler vorwirft, er wolle die Erblast seiner NS-Familienvergangenheit mit einer Ausstellung aufwerten. Ins gleiche Horn stießen Kulturstaatsministerin Christina Weiss und der Sammler selbst.

Flick forderte einmal mehr, man dürfe seine Kunst "nicht haftbar machen" für Moralfragen.

Kein Hinweis auf das dunkelste Kapitel der Flick-Dynastie

Und so bleibt es dabei: Kein Hinweis auf das dunkelste Kapitel der Flick-Dynastie rahmt das Museum auf Zeit, das gestern Abend im Hamburger Bahnhof eingeweiht wurde. Dass ausgerechnet der Hauptkurator Eugen Blume in einer ausliegenden Loseblattsammlung ein Interview mit Flick führt, soll nun in der Ausstellung selbst das einzige Moment geschichtlicher und moralischer Reflexion sein. Abschließend tat Lehmann noch den recht frommen Wunsch kund, "der Schatten Hitlers, der immer über alles fällt", solle hic et nunc verschwinden. Sein Wort in den Ohren der vom "Untergang" infizierten Republik.

Also: die Kunst. Gelingt es, sie ohne Flick-Brille, gleichsam naiv anzusehen? Als Klebstoff für einen Riss, der in der Flick-Debatte zu Tage trat, taugen die einzelnen Werke zeitgenössischer Kunst ohnehin weniger als die Veranstaltung insgesamt: Bleiben sie doch schon per definitionem resistent gegenüber monothematischem Zugriff. "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen" - was sagt dieses abstrakte Bild von Kippenberger über seinen Sammler Flick, über dessen Tun und Lassen aus?

Und doch vermag man es jetzt nicht mehr ohne Hintergedanken anzusehen. Vor die Ästhetik schiebt sich die Moral, ob man will oder nicht, aber vor allem beim Gesamtkonzept der Schau. Von der Sammlung, für die, bis auf Beuys' Werke, der Hamburger Bahnhof bis zum letzten Winkel freigeräumt und die angrenzende Rieck-Halle renoviert wurden, wird nach sieben fetten Jahren womöglich nicht viel bleiben in einem Haus, das sich "Museum der Gegenwart" nennt. Falls Flick seine Schätze wieder abzieht, wäre alles wieder wie vorher.

Das wäre schade. Denn was hier ausgestellt ist, würde bei vielen Museumskustoden Adrenalinpegel hochschnellen lassen.

Die "Friedrich Christian Flick Collection", das kann man nun in Berlin deutlicher als bisher erkennen, beherbergt Kunstwerke von weltweit erstklassigem Rang. Viel arrivierte Kunst ist dabei, kaum eine wirkliche Neuentdeckung, und fast sieht es so aus, als sei dieser beeindruckende Bestand weniger aus persönlicher Obsession heraus gesammelt worden als vielmehr im Hinblick auf seine museale Bedeutung.

Anfang 2005 wird die Flick-Kunst wieder abgezogen, die Rieck-Halle wird dann zur einzigen Spielfläche von Sammler und Kurator. Es gibt eigentlich nur eine Lösung: Flick hat nicht in den Zwangsarbeiterfonds eingezahlt - nun sollte er zumindest erhebliche Teile seiner Sammlung der Stadt schenken. Vielleicht hat er dies längst vor. Was würde auch sonst aus der Rieck-Halle werden?

Ist es Zufall oder Ironie, dass ein Kapitel der Ausstellung "Der Ewigkeitskult ist die älteste Krankheit der Menschheit" heißt, ein anderes "Hier und jetzt zufrieden sein"? Blume hat den einzelnen Künstlern Saalüberschriften zugewiesen, die mal erhaben daherkommen ("Schöpfungsmythos"), mal kunsthistorisch ("Bild, Vorsicht trocken lagern" - ein Zitat von Marcel Broodthaers"), mal theoriegesättigt ("Körpereinschreibungen") und manchmal einfach nur banal ("Stillstand in Bewegung").

Marathon-Parcours

Die schiere Fülle der Exponate auf 13.000 Quadratmetern macht den Parcours zum Marathon von Documenta-Ausmaßen. Er wirkt auch nicht weniger disparat. Die zentrale Figur dieser Ausstellung ist Bruce Nauman. Von ihm werden allein 43 Arbeiten gezeigt - was auch kein Wunder ist, da er für Flick mit seinen oft quälenden Attacken und Beschwörungen der conditio humana so etwas wie ein Emblemkünstler ist.

Im Hamburger Bahnhof liegt ein kleiner schwarzer Granitblock; darauf eingemeißelt steht "Partial truth", Halbwahrheit. Kuratorische Absicht, gewiss, aber auch ein Flick-Kommentar? In einem videotechnischen Kurzschluss sieht man sich selbst beim Davonlaufen zu. Platzangst in engen Sackgassen, Agoraphobie auf schmalem Bühnen-Korridor zwischen wuchtigen, leeren Tribünen - bedrängende Raumerfahrungen, deren Subtext aber erst im Kopf dessen entsteht, der sich in ihnen verfängt.

Tyrannisch in seiner Aufdringlichkeit ist auch Paul McCarthys "Saloon" im Hauptsaal des Hamburger Bahnhofs, in dem sich Unsagbares zwischen B-Movie, Western und Softporno abspielt. Davor stehen Adam und Eva, die Apfelköpfe und Geschlechtsorgane riesenhaft vergrößert. In dieser Abteilung, "Schöpfungsmythos" betitelt, geht es freilich eher obszön als biblisch zu, Walt Disney und Russ Meyer haben hier gemeinsam Regie geführt, der Film heißt "Vertreibung aus dem Paradies". Und Jason Rhoades' Müll- und Maschinenlandschaft "Creation Myth" ist auch kein Reflex auf die Genesis, sondern ihr unvermeidliches monströses Gegenteil, eine gigantische Ausscheidungsskulptur des Industriezeitalters.

Vom Alten Testament zum Musenhort ist es hier nur ein Sprung, und so dürfen in der Sektion "Museum" Duchamps Fundstücke - Flaschentrockner, Schneeschaufel und Fahrrad-Rad - noch einmal wie weiland im Atelier des Ready-made-Erfinders, im Vorschein ihrer musealen Würdigung Schattenspiele an die Wand werfen. Die Abteilung "Ewigkeitskult" bietet Faszinierendes: Von Nam June Paiks frühem Happening "Robot K456" - ein selbstgebauter Roboter, der 1964 in Manhattan die Straßen unsicher machte -, steht das Relikt des wandelnden Metallhaufens. Das Leben ist vergänglich - auch in Dieter Roths rührend-verstörender Big-Brother-Selbstbeobachtung "Solo Szenen". Der alternde Künstler lässt sich auf unzähligen Bildschirmen beim Alkoholentzug filmen. Unendlich mühsam schleppt sich dieses Leben dahin.

Das Streben nach musealer Komplettierung

Cindy Shermans schmutzige Verpuppungen, Dan Grahams raffinierte Spiegelkabinette, Larry Clarks fotografische Provinz-Traumata zwischen Junkietum und Waffenfetischismus: das alles besitzt er also auch, denkt man und wundert sich, wie potent dieser Sammler ist. Immer ist da diese Perfektionssucht, das Streben nach musealer Komplettierung. Gleiches gilt für die Rieck-Halle und ihre Folge von fünf Sälen, die gleichwohl im Ganzen enttäuschender inszeniert sind.

Zu der ehemaligen Fabrik führt eine expressionistisch verkantete Brücke der Ausstellungsarchitekten Kühn & Malvezzi, deren Raumwirkung aber durch notwendige Einbauten zerstört wurde. Hätte es nicht eine einfache Rampe auch getan? Oder wäre auch sie wieder zu anspielungsreich gewesen? Auf der langen Flurflucht begleiten gemalte 99 Wartesaal-Miniaturen von Jean-Frédéric Schnyder den Weg. So wird die Monumentalität des Baus geschickt heruntergebrochen aufs Intime, gleichwohl Unbehauste.

In den Sälen nehmen sich die zahlreichen Hauptwerke von Kippenberger und Franz West gegenseitig die Luft zum Atmen. Anders ist es bei Dieter Roths grandioser "Gartenskulptur", einem archivalischen Irrwitz aus Holz: Er bekommt einen ganzen Saal, wirkt in diesem aber nicht bedrängend genug. Die übrigen Räume der Rieck-Halle füllen mehrheitlich Fundstücke des Kunstmarktes und jüngster Museumsschauen. Es ist ein Stelldichein des Bekannten: Pipilotti Rist, Rodney Graham, Fischli/Weiss, Diana Thater.

Allein Thomas Ruffs Fotos spießiger Interieurs und Tuymans' gemalte "Heimat"-Serie spielen sich, auf den Berggipfeln der zeitgenössischen Kunst, die Bälle zu.

Wie gesagt, für den Hamburger Bahnhof wäre diese Sammlung ein Segen. Wenn sie denn da bliebe. Eine Seele, ein monomanisches Sammler-Profil besitzt sie nicht. Berlin würde sie dennoch bereichern.

Bis 23. Januar 2005. Katalog 30 Euro, Vorzugsausgabe 98 Euro.

© SZ vom 22.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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