DVD:Ein Afro auf Sizilien

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"100 Schritte" ist ein großartiger Film, weil er der Anti-Mafia-Bewegung neuen Schwung gegeben hat und einfach jeder Italiener einen Mafioso spielen kann.

Ein Film aus Italien, über die Mafia, gedreht auf Sizilien. Mal ehrlich, davon erwartet man sich in etwa so viel Überraschungen wie von einem Teller Spaghetti Bolognese im nächstgelegenen "Ristorante Venezia". Also gar keine.

Das blaue Meer, Siziliens staubige Küste, das blutige Geschäft der Mafia und ein junger Mann, der zum Helden taugt: "100 Schritte" erzählt eine altbekannte Geschichte und rüttelte doch ein ganzes Land auf. (Foto: Foto: Verleiher)

Und doch schaffte es Regisseur Marco Tullio Giordana nicht die tausendste Version derselben Geschichte zu drehen. "'100 Schritte' entzündete die italienische Öffentlichkeit, als man schon fürchtete, die Anti-Mafia-Bewegung hätte ihren Schwung verloren", schreibt die New York Times.

In der Tat gab es auf Sizilien seit gut zehn Jahren keine bedeutenden Mafia-Morde oder Anschläge mehr. Was nicht bedeutet, dass man die Plage los geworden ist. Vielmehr hat sich das Verbrechen zurückgezogen, agiert leise, unauffällig, dabei mächtig wie eh und je.

Ein Gruß an Berlusconi

Es scheint als seit "100 Schritte" für Italien das, was "Bowling for Columbine" für die USA war: Kino mit Weckfunktion, der Beginn einer politischen Debatte, die lange vermisst wurde.

"Berlusconi hat guten Grund Angst zu haben, auch wenn ihm viele versichern, dass der 'Fall' Peppino Impastato abgeschlossen ist", freute sich die linke Zeitung Il Manifesto.

"100 Schritte" ist aber nicht nur als politisches Statement sehenswert, es gibt auch viel banalere Gründe für die 112 Minuten mit diesem Film. Die Erkenntnis zum Beispiel, dass es italienischen Schauspielern im Blut liegen muss die Mafia zu verkörpern. "100 Schritte" ist da keine Ausnahme.

"Luigi Maria Burruano als Vater, ist als zerrissener Mann zwischen den Gefühlen für seinen Sohn und der Zugehörigkeit zur Mafia großartig, Lucia Sardo als Mutter zeigt eine schmerzhafte Intelligenz und Tony Sperandeo als Don Tano ist - ohne eine Geste zu viel - ununterbrochen bedrohlich", schreibt La Repubblica vollkommen zu Recht.

Den Kulissenzauber erledigt Sizilien von alleine, das tiefblaue Meer, der morbide Charme kleiner Städte, "100 Schritte" funktioniert auch als kleiner Urlaub im deutschen Winter. Einfach den italienischen Originalton einstellen und die deutschen Untertitel ausblenden.

Lehre bei Onkel Tano

Wenn man die Sprache nicht versteht, klingt der sizilianische Singsang, dieses aufbrausende, laute Hin und Her, wie ein Lied.

"100 Schritte" erzählt eine Geschichte, die nicht neu ist und doch noch etwas zu sagen hat. Nur 100 Schritte liegen zwischen dem Elternhaus von "Peppino" Giuseppe Impastato und dem von Gaetano Badalamenti, dem Oberhaupt der lokalen Mafia von Cinisi, einem kleinen Ort bei Palermo.

Peppinos Vater Luigi erhofft sich für seinen Sohn eine Karriere in der Unterwelt, eine Lehre bei Onkel Tanos Firma sozusagen. Doch Peppino entscheidet sich schon als Kind gegen die Mafia, er schließt sich den wenigen Linksintellektuellen seiner Heimatstadt an und kämpft öffentlich - trotz alle Warnungen gegen das - nur 100 Schritte entfernt wohnende - Verbrechen.

Den Fall Giuseppe Impastato hat es so tatsächlich gegeben: Am 9. Mai 1978 wird der Radioredakteur und Anti-Mafia-Aktivist ermordet. Die Behörden legen das Verbrechen als Selbstmord zu den Akten.

Die späte Sühne eines Mordes

Seine Freunde und die Familie Impastato kämpfen fast zwei Jahrzehnte lang um die Wiederaufnahme der Ermittlungen.

1994 macht eine Fernsehreportage des Journalisten Claudio Fava über unaufgeklärte Mafia-Verbrechen "Cinque delitti imperfetti" (1994) den Fall in ganz Italien bekannt, löst eine Welle der Anteilnahme aus und setzt die italienische Justiz unter Druck.

Erst 1996 erklärt die Staatsanwaltschaft von Palermo den Tod Impastatos offiziell zum Verbrechen. 2000 wird der Film "100 Schritte" über Giuseppe Impastatos Leben ein Sensationserfolg in den italienischen Kinos (570.000 Besucher) und gewinnt den Preis "Bestes Drehbuch" in Venedig sowie den Publikumspreis von Sao Paolo.

2001 gewinnt "100 Schritte" als Bester Europäischer Film das internationale Filmfestival von Brüssel und wird von Italien für den Oscar "Bester fremdsprachiger Film" und in den USA für den Golden Globe nominiert.

Im Jahr 2002, fast 24 Jahre nach dem Verbrechen, wird Gaetano Badalamenti wegen des Mordauftrags an Giuseppe Impastato verurteilt.

Extras? Specials? - Nö.

In Deutschland kommt "i cento passi", so der schöne italienische Titel, erst jetzt in den DVD-Handel. Die längst üblich gewordenen DVD-Beigaben gibt es bei "100 Schritte" nicht.

Wo auch kleinere Hollywood-Filme mehrstündige DVD-Specials aufbieten, gibt es bei einem kleinen Film wie diesem eben nur den Film, immerhin in italienischer und deutscher Version, mit Untertiteln, wenn gewünscht.

Gerne hätte man ein Interview mit dem Regisseur gesehen, einen Blick hinter die Kulissen, oder gar die erwähnte Fernsehreportage der wahren Geschichte aus dem Jahr 1994.

Kleine Specials findet man nur in dem Film "100 Schritte" selber: So spielt er etwa Ende der 60er, Mitte der 70er Jahre und zeigt einen seltenen Blick auf Siziliens 68er Generation. Und siehe da: Afro-Frisuren und Hippie-Kleidung stehen Italienern ausgezeichnet.

Originaltitel: I cento passi Regie: Marco Tullio Giordana Darsteller: Luigi Lo Cascio, Luigi Maria Burruano, Lucia Sardo, Paolo Briguglia, Tony Sperandeo, Andrea Tidona, Claudio Gioè, Domenico Centamore FSK: ab 12 Länge: 112 min DVD-Specials: Italienischer Originalton

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