DVD: "Aus Liebe zum Volk":Wieviel Freiheit kostet Sicherheit?

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Grausame Wahrheiten: Der Dokumentarfilm erzählt mit eindrucksvollen Bildern die Geschichte eines Stasi-Offiziers - und weist dabei weit über sich hinaus.

"Sie wurden inhaftiert, denn ihre Überzeugungen waren gefährlich und brachten Unruhe in die Bevölkerung", spricht eine Stimme sachlich und kühl. Die Kamera fährt währenddessen an einer Reihe von Menschen vorbei, die an einem nasskalten Herbsttag auf einer Landstraße stehen. Ein bisschen schmuddelig sehen sie aus.

Es geht weiter: "Ich hätte mir von diesem Personenkreis etwas mehr Mäßigung gewünscht. In der Regel waren es intelligente Leute Ihre Sorgen, Probleme und Ansichten hätten wir von Mensch zu Mensch bereden können. In der Dienststelle hätte sich jeder aussprechen können. Doch es kamen nur wenige..."

Eine Szene später schreit ein junger Mann: "Bitte helfen Sie uns!" Er wird von fünf Polizisten in DDR-Uniform abgeführt. Seine Frau und seine drei Kinder werden mit einem Militärfahrzeug abtransportiert.

Der Dokumentarfilm "Aus Liebe zum Volk" erzählt zwei Geschichten. Die eine ist die des Stasi-Majors S., dessen Stimme aus dem Off kommt, die mal stolz, mal ein wenig konsterniert, doch immer sachlich und nüchtern spricht. Nur manchmal klingt sie ein wenig, als müsse gerade jemand mühsam seinen Zorn unterdrücken. Sie beruhen auf einem tatsächlichen Zeugenbericht, dem Buch "Aus Liebe zum Volk - Ausgedient", das 2004 erschien.

"Ich war nie gern in fremden Wohnungen"

Ruhig erzählt Major S., gesprochen von Alex Prahl, an seinem letzten Tag im Büro von seinem Leben. Wie die Stasi ihn anwirbt, wie er heiratet, eine hübsche Dreiraumwohnung bezieht und aus Liebe zum Volk von 8 Uhr bis 17 Uhr arbeitet. Wie er in fremde Wohnungen einbricht, um dort Wanzen zu installieren ("Ich war nie gerne in fremden Wohnungen"), verwandschaftliche Bindungen kappt ("mein Beruf zog viel Neid auf sich") und öffentliche Plätze überwacht ("Ich habe häufig versucht, die Anonymität der vor mir liegenden großen Stadt zu durchdringen.")

Am Ende des Berichts ist man weit weg von jeglicher Vergangenheitsverklärung. Trotz all der persönlichen Details, Introspektionen und Erklärungsversuche entsteht kein Mitleid für den Täter. Zurück bleibt die Erkenntnis, dass die Wurzeln der Menschenverachtung nicht im Pathologischen, sondern im kleingeistigen Sicherheitsstreben liegen.

Wortlos erzählen die Bilder eine zweite, gespenstische Geschichte: die der Bespitzelung, der Entwürdigung, der Zerstörung von Menschen und der Überwachung seitens eines paranoiden Staates, dessen größter Feind die eigenen Bürger waren.

Größtenteils unveröffentlichtes Bildmaterial aus öffentlichen und privaten Archiven zeigt beim Verhör weinende Menschen, auf der Flucht gefasste Familien mit Kleinkindern und peinlich intime Details der Opfer.

Eyal Sivan und Audrey Maurion haben für diesen Film Unmengen von Archivmaterial der Birthler-Behörde, Stasi-Schulungsfilme, Mitschnitte von Verhören und Alltagsaufnahmen durchforstet, ausgewertet, auseinander geschnipselt und wieder zusammen gesetzt.

Entstanden ist ein bewegendes Kaleidoskop der Stasi-Vergangenheit. Von gemusterten Tapeten über Mitschnitte eines Einsatzprotokolls von Grenzschützern bei der Observation eines 17-jährigen und der Vernahme von Republikflüchtlingen bis hin zu den Bildern der Wende.

Die Bildsprache ist fern jeglicher Ostalgie, nüchtern genug, um nicht in die künstlich depressive Kulisse des Spielfilms "Das Leben der anderen" abzugleiten.

Zum Ende wird der Blick distanzierter: Aus sicherer Entfernung beobachtet die Stasi die Montagsdemonstrationen, in der vermeintlichen Selbsterkenntnis, sich vom Volk entfremdet zu haben. Die Stimme von Major S. klingt ein wenig nachdenklicher.

"Die Stimmung ist trübe", sagt er, während der Zuschauer mit ihm durch die Gänge des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geht. "Keiner meiner Mitarbeiter und Genossen wollte es glauben. Wir hatten Hoffnung bis zum letzten Tag. Ausgerechnet der 40. Jahrestag des MfS ist mein Entlassungstag geworden. Sonst war dieser Tag der Höhepunkt des Jahres." Der Spuk geht zu Ende.

Wieviel Freiheit kostet Sicherheit?

"Aus Liebe zum Volk" erzählt noch eine andere Geschichte: die eines paranoiden Staates, exemplifiziert an der DDR. Die Terminologie des Majors und seiner Kollegen ist nicht 20 oder 30 Jahre alt. "Krieg den Terrorismus", "Schutz des Volkes" oder "Vernichtung des Feindes" - Wortwahl, Tonfall und Argumente, sie erscheinen dem Zuschauer erschreckend bekannt und aktuell.

"Aus Liebe zum Volk" ist nicht nur ein Film über die Abgründe ostdeutscher Vergangenheit. Es ist auch und vor allem ein Film über die Angst des Staats vor seinen eigenen Bürgern.

"Es ist unvorstellbar, dass es keine Sicherheit mehr geben soll. Auch im Moment des Abschieds von meinem Büro kann ich mir so eine Zukunft nicht vorstellen. Jeder Staat hat seine Sicherheitsorgane und Geheimdienste.", sagt Major S. am Ende des Filmes.

"Aus Liebe zum Volk" weist weit über sich und die Vergangenheit hinaus. Zurück bleibt ein mulmiges Gefühl und die Frage: Wieviel Freiheit kostet Sicherheit?

AUS LIEBE ZUM VOLK, Dokumentarfilm, 2004 - DVD + Bonusmaterial (Französische Fassung, Booklet und Infomaterial). Regie: Eyal Sivand und Audrey Maurion. Buch: Eyal Sivan, Audrey Maurion, Aurélie Tyszblat. Nach einer Idee von: Gilles-Marie Tiné. Kamera: Peter Badel. Archivrecherche: Cornelia Klauss, Karin Fritzsche, Mirjam Strugalla. Montage: Audrey Maurion. Produzenten: Gilles-Marie Tiné und Thomas Kufus. zero film und ARCAPIX. 88 Minuten.

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