Durchgeknallte Ausstellung in London:Mars an Erde: Was soll das?

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In London haben Aliens die Kunst von Duchamp bis Dieter Roth unter die Lupe genommen. Die Kuratoren kommen diesmal direkt vom Mars. Wir erfahren: Elvis ist ein Heiliger.

Jörg Heiser

Museen denken sich heutzutage alles Mögliche aus, um neue Zielgruppen zu erschließen: lange Nächte, kurze Führungen - derlei Dinge. Die Attraktion, die die Ausstellung der Londoner Barbican Art Gallery darstellt, wird jedoch so schnell keiner überbieten: Hier kommen die Kuratoren vom Mars.

Die E.T-Variante eines Buddha-Altars: Haim Steinbachs marsianisch anmutende Kunst. (Foto: Foto: courtesy Galery Laurent Godin, Paris/Screenshot: barbicon.org.uk.)

Die extraterrestrischen Experten haben seltsame Objekte von Erdenkünstlern ganz so konserviert und klassifiziert, wie es irdische Ethnologen mit den Artefakten so genannter Naturvölker tun. Die Ausstellung ist so gestaltet, als hätten sich die Besucher vom anderen Stern ganz ernsthaft darum bemüht, einen Sinn in jener mysteriösen Tätigkeit "Kunst" und ihren Resultaten zu erkennen. Von ausliegenden Broschüren bis hin zu den Wandetiketten ist alles zweisprachig in Englisch und Marsianisch gehalten.

Lasst die ruhig mal machen

Freilich: Die Ausstellungsidee klingt, als wäre sie spät abends im Pub nach ein paar Bieren zu viel ersonnen worden. Es ist wenig verheißend, sich einer kompletten Schau mit immerhin 175 Exponaten - darunter Werke von Marina Abramovic, Joseph Beuys, Mike Kelley und Bruce Nauman - unter den Anführungszeichen einer ironischen Fiktion anzuvertrauen. Was soll das alles?

Ein Blick in den Katalog: "Zeitgenössische Kunst wird von der breiten Öffentlichkeit oft als verwirrend und unzugänglich empfunden", heißt es gleich anfangs. Einige Absätze weiter wird verraten, dass die beiden Kokuratoren der Ausstellung, Francesco Manacorda und Lydia Lee, ursprünglich beauftragt worden seien, eine Übersichtsausstellung über zeitgenössische Skulptur zu erstellen. Mit anderen Worten: Die beiden suchten den gemeinsamen Nenner zwischen verwirrenden, unzugänglichen Objekten einerseits und breiter Öffentlichkeit andererseits - und fanden ihn in der marsianischen Fiktion.

Auch wenn das Gefühl einer allzu lange ausgewalzten Pointe einen im Verlauf der Ausstellung nie ganz verlässt: Einige sehr besondere Momente entstehen doch. Eher offensichtlich funktioniert das Ganze noch, wenn unsere fiktiven Marsianer die modernen Kunstobjekte schlicht für religiöse Kultobjekte halten: So wird aus Isa Genzkens eleganter Vierkantsäule ein Totempfahl. Die von David Hammons in Goldschnitt und mit der Einband-Aufschrift "Holy Bible" gebundene Ausgabe der Gesammelten Werke Marcel Duchamps kann aus Marsianer-Sicht nur als Ausdruck der kultischen Verehrung von Vorfahren gelesen werden. Und die von Dieter Roth 1961 zu "Literaturwurst" verarbeitete Ausgabe von Martin Walsers "Halbzeit" - eine mächtige, mit Papierschnipseln prall gefüllte Wurstpelle - ist ihnen Ausdruck eines magischen Glaubens an Transformation.

Wirklich komisch ist ein Nebenraum: Hinter einer verschlossenen Tür, durch eine Glasscheibe einsehbar, sind "unklassifizierte Objekte" auf eine Trage aufgebahrt, so eine aufwendig tätowierte Kinderpuppe des Mexikaners Dr. Lakra oder ein dickes Buch des Briten Richard Wentworth, in das an drei Stellen Armbanduhren eingelegt sind. Das Ganze wirkt komplett wie ein Szenario aus der Mystery-TV-Serie "X-Files".

Noch besser aber funktioniert die marsianische Sichtweite auf irdische Kunst, wenn die Künstler selbst sich mehr oder minder wie Außerirdische verhalten. Der New Yorker Haim Steinbach setzt eine Büste von "Star Wars"-Roboter C-3PO auf ein Wandbänkchen, daneben sieben Digital-Wecker, die jeweils mysteriöserweise um eine Minute verschoben die Zeit anzeigen, so als handle es sich um die E.T.-Variante eines Buddha-Altars.

Geplant: Erdzerstörung

Ebenso durchgeknallt ist die Pilgerfahrt, die der Kalifornier Jeffrey Valance 2006 nach Graceland unternommen hat. Er hatte gelesen, dass Elvis, kurz bevor er auf der Toilette starb, in einem Buch über das Schweißtuch Jesu geschmökert hatte; Elvis selbst hatte ja bei Las-Vegas-Auftritten eifrig schweißgetränkte Handtücher verteilt. Scharf schließt der Pilger, dass Elvis selbst ein Heiliger sein müsse - und entwendet kurzerhand ein Stückchen Stoff aus einem der Teppiche im Haus des King. Dieses wiederum setzt er in das Fensterchen einer veritablen katholischen Reliquienmonstranz ein.

Dass die besten Künstler selbst Außerirdische sein könnten - diese schöne Verschwörungstheorie nimmt der britische Schriftsteller Tom McCarthy in seinem wunderbaren Katalogbeitrag auf. Er schreibt als marsianischer Undercover-Agent einen Bericht an seine Vorgesetzten. Zunächst habe er sich in London zum Künstler ausbilden lassen und "die zwei Regeln" der Kunst erlernt: Erstens müsse man Wissen über die Geschichte dieser Disziplin anhäufen, zweitens Variationen hinzufügen, die "zugleich als Wiederaufnahme und Mutation" dieser Geschichte erscheinen. Statt diese Regeln offen auszusprechen, werde aber in der Kunstausbildung immer noch an "handwerkliche Fähigkeiten" und "Selbstausdruck" appelliert.

Der Grund aber, warum der Agent gegen die geplante Erdzerstörung votiert, ist keineswegs, dass er Gefallen an den aus Mars-Perspektive so absurden und unnützen Gepflogenheiten des Kunstbetriebs gefunden hätte. Vielmehr habe ihm die epiphanische Wahrnehmung eines Sonnenbrillenetuis schlagartig den instabilen Charakter des Zeit-Raum-Kontinuums klargemacht. Nur ebenjene scheinbar so unnütze Kunst habe diese Wahrnehmung ermöglicht. McCarthys Agent erkennt den "Zweck" des vordergründig Zwecklosen der Kunst. Und schlägt deshalb vor, die Erde als Objekt der Beobachtung in Ruhe zu lassen. Da sind er, Heidegger und die Beatles sich einig: "Let it be" - lass das Sein sein.

Die Kuratoren tricksen jene allzu willfährige Museumspädagogik aus, die vorauseilend jedes störrische Fremdeln zwischen Kunstwerk und Publikum abfedern will. Zugleich werden die auratischen Ansprüche der Kunst angenehm düpiert, ohne sie einfach bloß als Scharlatanerie erscheinen zu lassen. Und so löst sich der Beigeschmack, dass diese marsianische Ausstellung bloß folgenlose Spielerei sei, spät, aber eben doch auf.

"Martian Museum of Terrestrial Art", London, Barbican Art Gallery, bis 18. Mai 2008; Info: www.barbican.org.uk, Tel. 0044 / 20 7638 8891

© SZ vom 2.4.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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