Dramatiker Edward Albee wird 80:Der Gott des Gemetzels

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Er gilt als einer der einflussreichsten Dramatiker der USA und ist doch eigentlich nur für ein Stück berühmt: "Wer hat Angst vor Virginia Woolf...?" machte Edward Albee weltbekannt. Heute wird er 80.

Christopher Schmidt

1943 fragte Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Genau zwanzig Jahre später, aus dem totalen war inzwischen der kalte Krieg geworden, fragte wieder in Berlin, diesmal im Schlosspark-Theater, der Schauspieler Erich Schellow seine Bühnenpartnerin Maria Becker: "Willst du den totalen Krieg?" Das war am 13. Oktober 1963, bei der deutschen Erstaufführung von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf...?".

Richard Burton und Elizabeth Taylor 1966 in der Verfilmung von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf...?". (Foto: Foto: ZDF)

Mit seinem Stück war dem damals 35-jährigen Edward Albee nicht nur einer der größten Skandalerfolg der Theatergeschichte gelungen, sondern er hatte auch ein neues Genre kreiert. "Virginia Woolf" gilt als die Mutter aller Eheschlachten, und bis heute hat sich die Dramatik nicht vollständig von dieser Urmutter abgenabelt.

Begleitet wurde der Siegeszug seinerzeit nicht nur hierzulande von erbitterten, die noch frische Westbindung gefährdenden Abwehrschlachten, die Albee als dreisten Bluffer und Epigonen entlarven wollten. Auch am Broadway, wo es uraufgeführt wurde, sorgte das Stück für einen Eklat und dafür, dass mehrere Mitglieder aus der Jury austraten, die Albee den Pulitzerpreis vorenthielt. Den Preis erhielt er später allerdings noch dreimal.

Die kalte Brillanz seiner Dialoge provozierte. Nihilismus und unamerikanischen Umtriebe wurden ihm vorgeworfen, Homophilie ebenso wie Homophobie, als ein Oliver Pocher der sechziger Jahre wurde dieser ruchlose junge Mann gesehen, als aalglatter Zyniker, der sich für eine Pointe mit dem Teufel verbündet, den er in Wahrheit austreiben wollte. Ein frivoler Puritaner. Zugleich lud dieser scheue Asket, der immer so grimmig dreinblickte und dem die aufreizende Androgynität eines kindhaften Racheengels anhaftete, zu romantischen Projektionen ein.

Albee, das war das von den leiblichen Eltern zur Adoption frei gegebene Kind, das nach Jugendjahren in einem vermögenden, aber auch halbseidenem Elternhaus mit zwanzig nach Greenwich Village zog und dort ein Doppelleben führte: Tagsüber studierte er in diversen Gelegenheitsjobs den american way of life, gegen dessen Lebenslügen er nachts anschrieb mit Stücken wie "Die Zoogeschichte", "Der Tod der Bessie Smith" oder "Der amerikanische Traum".

Albees Stern schien schon verglüht zu sein, als er noch am hellsten strahlte, und es ist eine tragische Ironie, dass das Stück, das man mit seinem Namen verbindet, zugleich sein untypischstes ist. "Virginia Woolf" ist das einzige richtige well-made play Albees, der sich in der Tradition der Absurden sah. Doch dafür war er im falschen Land geboren.

Ehebruch mit einer Ziege

Im kommerziellen Theatersystem seiner Heimat ging er bald als One-Hit-Wonder unter, nachhaltigere Wirkung entfaltete er im subventionsgeschützten deutschen Theater. Und doch war es auch hier sein Broadway-Erfolg, der nachfolgenden Stücken wie "Tiny Alice", "Empfindliches Gleichgewicht" oder "Seascape" eine breite Schneise schlug, in der Albee mit artifizielleren Texten heiser hüstelnd überwintern konnte. Albee verstummte auf Raten, arbeitete zwischenzeitlich als Regisseur, schrieb Roman-Adaptionen fürs europäische Theater und Drehbücher fürs amerikanische Fernsehen.

Immer wieder stemmte er sich mit einem neuen Stück gegen das Vergessen. Zuletzt 2002, als er den Tony Award einheimste. Wieder hatte er Feuer an eine scheinbar perfekte Ehe im Preppy-Milieu gelegt: Martin unterhält eine Pendelbeziehung zu Sylvia, die auf dem Lande lebt. Es war Liebe auf den ersten Blick, und das Problem ist weniger, dass Martin seine Frau betrügt, als dass er sie in einem Stall betrügt. Denn Sylvia ist eine Ziege.

Doch "Die Ziege oder Wer ist Sylvia?" ist kein Sodomie-Schocker, sondern ein Anschlag auf das bürgerliche Eifersuchtsdrama. Albee wagt darin einen Blick ins verlorene Paradies. Aber er wagt nicht, hinüber zu gehen. Und so muss Sylvia am Schluss sterben, weil sie schlechte Nachrichten über den Menschen bringt.

Aber Albee opfert nicht nur ein Tier, sondern auch sein Thema dem konventionellen Rahmen, den es sprengen sollte. Seine Dialoge sind auch hier wieder ein Pointentrommelfeuer, aber eines aus Platzpatronen. Allzu schlagfertig sind diese Sätze: Sie schlagen auf und sind schon fertig. Lauter Asse. Eigentlich monologische Sätze. Einsamkeits-Sätze. Krapp-Sätze.

Letztlich hat das perfekte Dialog-Handwerk, das für ihn immer subversive Mimikry war, Edward Albee besiegt und statt zu einem amerikanischen Beckett zu einer Beckett-Figur werden lassen. Heute wird er achtzig Jahre alt.

© SZ vom 12.03.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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