Diskussion:Klang braucht Raum

Lesezeit: 2 min

Ein Abend über Konzertsäle in der Versicherungskammer

Von Rita Argauer, München

An Konzertsälen scheiden sich derzeit die Geister: Die einen finden die zahlreichen Neubau-Projekte zu teuer, unnötig und nur eine gewisse privilegierte Schicht ansprechend. Andere sehen darin die Einigung einer zerrissenen Welt und ein "zukünftiges Weltkulturerbe", wie es die Musikjournalistin Christine Lemke-Matwey ausdrückt, die nun eine Gesprächsrunde mit dem Akustiker Karlheinz Müller, der Komponistin Isabel Mundry und dem Architekten Peter Zumthor in der Versicherungskammer Bayern dazu führte.

Ein mit viel Pathos, Herz und Gefühl aufgeladenes Thema ist das. Etwas, das die Münchner in den hoch emotional geführten Diskussionen um den neuen Konzertsaal, dessen Architektenausschreibung nun bevor steht, über die vergangenen zehn Jahre erleben konnten. Etwas, das sich aber auch sowohl in der Euphorie um die neue Philharmonie in Paris zeigt als auch im Spott über den Endloskosten-Bau der Elbphilharmonie.

Eine verschobene Wahrnehmung sieht da jedoch der Akustiker Karlheinz Müller: Über Konzertsaal-Bauten würde nur viel mehr geredet als etwa über den Bau einer Autobahnbrücke, im Schnitt würden natürlich aber viel mehr Brücken gebaut. Aber verschobene Wahrnehmungen existieren auch zwischen den vier Diskutierenden. Während Müller herzhaft für den Bau eines neuen Saals, der ausschließlich auf Neue Musik ausgerichtet ist, plädiert, gehört die Komponistin Isabel Mundry zu denen, die sich mit den bestehenden Verhältnissen eigentlich ganz gut arrangiert haben. Und sie heißt die Gegebenheiten, etwa die verschiedenen Raumklänge von alten Sälen, für die sie komponiert, und das Gegenüber von Neuer Musik und dem klassisch-romantischen Repertoire, ausdrücklich gut.

So wird viel darüber gesprochen, was Klang in einem Raum bedeutet. Oder, dass der Nachhall in einem klassischen Symphoniekonzert eine andere Rolle spiele als in der Neuen Musik, in der laut Müller die Kontrolle über das Stimmmischverhältnis beim Komponisten bleiben solle. Selten kommen konkrete Bauten länger zur Sprache. Man kreist eher abstrakt um das Thema, in das Peter Zumthor immer wieder mit freudvollem Anarchismus hineingrätscht, indem er fortlaufend auf all die anderen Musikstile wie etwa Jazz und Rock verweist, die ja größtenteils ebenfalls keine geeigneten "Lokale", wie er die Räume mit schweizerischen Einschlag nennt, hätten.

Trotzdem ist auch er dann irgendwann ganz von der Musik ergriffen. Denn unterbrochen wird die Diskussion von drei Einlagen, in denen eine herrlich unbefangene und bisweilen sehr witzige Salome Kammer zuerst mit Giacinto Scelsis archaischer Stimmenstudie "Canti del Capricorno" praktisch vorführt, was ein, zuvor von Architekt und Akustiker als "Direktschallraum" beschriebener Saal, gerade nicht ist. Denn Kammers starke Stimme sorgt selbst in dem akustisch relativ trockenen Versicherungskammer-Foyer für Nachhall, was ein Direktschallraum eben nicht tut. Anschließend singt Kammer von Stephan Heuberger am Klavier begleitet Isabel Mundrys Liedzyklus "Wer?", wieder als eine Art Beweisführung für Mundrys vorherige Erklärung über "imaginäre Räume", an die sie beim Komponieren denke. Und schließlich gibt das Duo noch Kurt Weills zugängliches Utopisten-Chanson "Youkali". Und was ist die ideale Wunschvorstellung eines Konzertsaals? Laut Zumthor, dass man nicht mehr von einem "Konzertsaal" spreche, sondern von einem "Musikraum". Das sei offener und heutzutage angemessener.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: