Dirigent:Mahlerglück

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Die Musiker lieben ihn schon jetzt: Jakub Hrŭša bei der Arbeit. (Foto: Andreas Herzau)

Jakub Hrůšas Einstand in Bamberg

Von Egbert Tholl, Bamberg

Man könnte es symptomatisch sehen. Jakub Hrůša gibt seinen Einstand als neuer Chefdirigent der Bamberger Symphoniker - er ist der fünfte in 70 Jahren des Bestehens des Orchesters, das allein ist höchst erstaunlich. Er gibt also seinen Einstand und lässt zuerst die Musiker ihre Instrumente stimmen. Das ist scheinbar normal, aber hier handelt es sich um das Stück "Tuning up" von Edgard Varèse, das nicht einfach eine auskomponierte, gspinnerte Idee ist, sondern ein sehr ernsthafter, von vielen Zitaten durchsetzter Ulk, ein paar Minuten Präsentation einer Riesenbesetzung, als wolle das Orchester im Zusammenfinden "Grüß Gott" sagen.

Das ist schon einmal sehr beeindruckend. Weiter geht es mit einer Ausgrabung, der D-Dur-Symphonie von Jan Václav Voříšek, welcher 1791 in Ostböhmen geboren wurde, 1813 in Wien ankam, dort musikalisch sozialisiert wurde und nicht nur künstlerisch die Nähe zu Beethoven suchte. Die Symphonie ist erstaunlich: Sie schildert in weniger als einer halben Stunde die Entwicklung der Gattung, beginnt quasi, bisschen platt gesagt, mit frühem Mozart und endet bei Beethoven. Dazwischen ist ein Satz von absoluter Eigenständigkeit, ein fabelhaftes, unerhörtes Andante, betörend in seiner Melodik, faszinierend in seiner sakralen Aura. Hrůša kostet die Empfindungsschwere aus, findet aber auch viel Leichtigkeit. Der Klang der Bamberger Symphoniker ist so fabelhaft warm und dunkel wie stets, durchzogen von feinen Lichtfäden. Dazu kommen ein paar verblüffende Ideen Voříšeks für die Holzbläser, und schon stehen Teile des Publikums beim Applaus zur Pause.

Hrůša ist 35, kennt das Orchester offenbar bereits gut, bringt mit Voříšek ein Stück aus seiner tschechischen Heimat mit und verneigt sich danach furchtlos vor der enormen Mahler-Tradition der Bamberger. Mahlers erste Symphonie gerät ihm zum Zauberwerk. Über den ersten Satz schrieb Mahler "wie ein Naturlaut" - und so erfüllt hat man die Vortragsbezeichnung noch nie gehört. Die Zitate der "Wunderhorn-Lieder" werden reine Gedichte, die Ländler schmiegen sich weich und zart ins duftende Gefüge. Es ist viel Goldstaub in der Luft des wohlklingenden Bamberger Saals. Hrůša ist selbstbewusst, souverän, die Musik wirkt bei ihm wie eine liebevolle Berührung, bis er im vierten Satz einen grandiosen Überfall inszeniert. Die Musiker, man sieht es, man hört es, haben viel Freude mit ihm, mit seiner Lust am Ausloten der Extreme bis hin zum besten, straffen Musikantentum. Ein Einstand, der Freude macht.

© SZ vom 04.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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