Dienstältester Chefredakteur:"Ein Spürhund, ein Spürhund, ein Spürhund"

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Eine rote Eule, viele Uhren und zwei Leben in Burdas Reich: Ein Besuch bei Helmut Markwort, der 70 Jahre alt wird.

Gisela Freisinger

Zuerst springt einen Schiller an. Der Dichter als Pappfigur, mannshoch. Was ist passiert, Herr Markwort? Haben wir nicht wieder und wieder von Ihnen gehört, Ihr Lieblingsdichter sei Goethe, und en passant gleich Ihr Lieblingsgedicht gelernt, Prometheus: "Hier sitz ich, forme Menschen/ nach meinem Bilde."

Helmut Markwort und seine Lebensgefährtin Patricia Riekel. (Foto: Foto: AP)

Dann fallen die Uhren auf. Eine hängt über der Sitzecke, in der Gestalt eines Tennisschlägers. Jedes Mal, wenn das Telefon läutet, gibt es Gelegenheit, weitere zu entdecken. Es läutet oft.

Bismarck und Bambi

Die Schweizer Bahnhofsuhr über der Eingangstür, das schlichte deutsche Schulmodell über den Regalen mit den bedeutungsvollen Ausstellungsstücken, die rote Eule als Vogel der Nacht, sein Lieblingstier; daneben eine Bismarck-Büste und Bambi.

Weitere Uhren schmücken die Rückwand des Schreibtisches, wo eine Bücherwand überquillt. Fakten über Medien, Politik und People-Business. Biografien, Geschichtswälzer, Nachschlagebrocken.

Die braucht er auch, denn er liebt Zitate von den Großen dieser Welt. Kant hat einmal gesagt; Friedrich der Große hat einmal gesagt; Thomas Mann hat einmal gesagt; Voltaire hat einmal gesagt, so leitet er gern seine Sätze ein. Wird es künftig heißen: Markwort hat einmal gesagt?

Wieder klingelt das Telefon. Der Blick schweift über all die Chronometer auf der langen Fensterbank, große, kleine, dicke, dünne, schlichte, verkitschte. Tick, tack, tick, tack. Was hat es damit auf sich? Sitzt hier Dr. Tempus, der glaubt, die Zeit gehöre ihm allein? Oder einer, der fürchtet, sie könne ihm zerrinnen?

Sein Scherz

Eine besondere Stunde schlägt am morgigen Freitag: Helmut Markwort wird 70. Seit Wochen schon blockieren Journalisten die Leitungen mit ihren Anfragen, um die dazugehörige Befindlichkeit zu erforschen. Da äußert er mit dem ihm eigenen Mutterwitz schon mal den Verdacht, am Ende bekäme er zu lesen: "Der dicke Mann wirft große Schatten." Gewiss würde er jedem anderen als sich selbst diesen Scherz verübeln.

Aber wer triebe solche Späße, wo doch fest steht, dass Markwort gemeinhin bella figura macht. Am Ehrentag wird nur für ihn die Münchner Allianz Arena vibrieren, werden die Großen und die Kleinen der Branche, Freunde und Feinde, Gönner und Neider, den Mann mit der furiosen Mähne feiern. Ihrer 500 an der Zahl. Es sei ein kleines privates Fest, lautet die Sprachregelung des eigens eingesetzten Festkomitees und der Eventmanagerin.

Der Ort des Geschehens liegt nahe. Der Bejubelte liebt den FC Bayern, dessen Aufsichtsrat und Verwaltungsbeirat er angehört, und er liebt das Stadion, wo ihm ein Stammplatz sicher ist. Auch die Symbolik liegt auf der Hand. Helmut Markwort an sportiver Stätte, als Spielmacher in der Südkurve des deutschen Medienackers.

Der Dienstälteste

Unter den Chefredakteuren des Landes ist er der dienstälteste; 50 Jahre im Geschäft, 40 davon ganz oben im Impressum. Schon als Gymnasialschüler in Darmstadt übte sich der Sohn eines Grundbuchamt-Leiters als freier Mitarbeiter der Presseagentur UPI. Sein damaliger Auftraggeber, Norbert Sakowski, später der Mann fürs Grobe von Henri Nannen und Hubert Burda, sagt: "Er war ein Spürhund, ein Spürhund, ein Spürhund. So clever, so wahnsinnig gut."

Der Spürhund legt nach dem Abitur 1956 beim Darmstädter Tagblatt los und startet seine Karriere mit der Erfindung der "Todesstrecke Frankfurt-Mannheim". Natürlich weiß Markwort, damals wie heute, dass auf diesem Autobahnabschnitt nicht mehr Tote zu betrauern sind als auf anderen Strecken. Er weiß jedoch auch, dass seine ständigen Anrufe bei der Polizei und die folgende Horrormeldung ("Schon wieder ein Toter auf der Todesstrecke") für Eindruck sorgten.

Jeder in der Branche merkte sich den Namen des sensationellen Reporters. Markwort ist schon Leiter des Düsseldorfer Stern-Büros, als der Verlegersohn aus Offenburg, Hubert Burda, ihn aufsucht. Es ist 1966, und der Jüngste des Burda-Clans will dem Vater beweisen, dass er ein anerkennungswürdiger Erbfolger ist.

Verrat und alte Hasen

So geht er auf Markworts Bedingung ein, ernennt ihn zum Chefredakteur von Bild & Funk und sich selbst zum Verlagsleiter. Die Temperamente des zupackenden, populären Markwort und des zögerlichen, intellektuellen Burda könnten gegensätzlicher nicht sein, doch jeder der beiden hat ein gutes Gespür für die Ambitionen des Anderen.

Vier Jahre lang sind sie ein unzertrennliches Team. 1970 aber wechselt Markwort zum Gong. An Verrat am jungen Verlegeraspiranten glauben noch immer einige alte Hasen, die den turbulenten Abgang damals miterlebten. Machiavellistisch in Ordnung, findet es Hubert Burda heute. Markwort habe erkannt, wie ihm, dem Sohn, die Felle davon schwimmen im Haus des Vaters. Mehr als 20 Jahre gehen Burda und Markwort getrennte Wege.

Während "King Gong" zum König der Programmpresse wird, nebenbei ein Herz für Tiere entwickelt und mit der aktuellen Burdas Bunte zu übertrumpfen sucht, gewinnt Hubert Burda den Bruderzwist ums verlegerische Erbe.

1991 holt er Markwort zurück. Bald werden Pläne für ein zweites deutsches Nachrichtenmagazin publik. "King Gong, bleib' bei deinen Affen" schallt es aus dem Blätterwald. Der Rest ist Legende. Markwort/Burda etablieren Focus neben dem Spiegel. Vom Erfolg sind sie selbst überrascht.

"Privatkonzernchen"

Aber aus dem einstigen Wonneproppen ist ein Sorgenkind geworden - die Verkaufsauflage hat sich mehr als halbiert. Doch wer würde am Jubeltag davon reden? Genauso wenig wie über die Frage, wie es Ende 2008 weitergeht, wenn Markworts Vertrag ausläuft. Offiziell möchte er nichts zu einer Verlängerung sagen, beharrt er. Und sagt damit womöglich mehr, als ihm lieb ist.

Die Lage um die Väter von Focus ist nicht einfach. Burda, der Verleger, und Markwort, sein Angestellter, wie er gern kokettiert, sind die siamesischen Zwillinge der deutschen Medienwelt. Für den Tag X hat Markwort vorgesorgt: "Da ich es versäumt habe, mir ein Hobby zuzulegen, werde ich meine Unternehmerkarriere steigern." 1984 entstand sein "kleines Privatkonzernchen", das heute direkt oder indirekt an 26 Radio- und TV-Stationen beteiligt ist.

Oft wird er in einem Atemzug genannt mit Henri Nannen und Rudolf Augstein. "Uns drei verbindet, dass jeder von uns ein Blatt gegründet und durchgeboxt hat." Weiter will er den Vergleich nicht treiben. Wenn aber stimmt, wie Markwort es sieht, dass Nannen ein großartiger Chefredakteur und Chefdarsteller war, der Curd Jürgens der Presse, und Rudolf Augstein der Jean Paul Sartre, wer ist dann Markwort? Woimmer er hinkommt, verstrahlt er Macherlaune. "Sogar auf den Flughäfen wird er angesprochen, weil die Leute ihn für den Direktor halten", erzählt seine Lebensgefährtin Patricia Riekel.

Theatergruppe

Markwort hält es selten ruhig auf dem Stuhl; immer ist da eine wichtige Frage. Wann war das, wann jenes? Ein Griff zum Telefon, und die treue Frau Schumacher mobilisiert Mitarbeiter im Archiv. Während erste Antworten eingehen, sind längst neue Fragen unterwegs. Neugier ist sein nie erlöster Triebstau, genauso wie der Kitzel des Spiels. Poker und Schafkopfen bereiten ihm mindestens so viel Freude wie die Rolle des Herrn Dumbach im Stück Datterich, das er mit seiner Theatergruppe gibt. Als spielerische Kür stellt er sein Karriere dar: "Ich hatte immer Angebote und Versuchungen, denen ich erlegen bin."

Ein homo ludens, dem auch Arbeit pures Vergnügen bedeutet. Sollte er sich hereingelegt fühlen, kennen alle seine Parole: "Ich bin nicht nachtragend, aber ich vergesse nichts." Und die Sache mit den vielen Uhren im Büro? Ursprünglich hingen da nur einige Exemplare, um diskret die Zeit mit seinen Besuchern dosieren zu können. Bald aber hieß es: Markwort sammelt Uhren. Gutmeinende schenken ihm seitdem in ungeahnter Zahl Stücke, die sie für schön und rar halten. Nicht ahnend, dass aus der Beglückung, die sie meinen, längst eine Plage geworden ist.

Wer aber dem geschmeidigen Herrn Markwort wirklich ein Geschenk machen will, der spreche an höherer Stelle vor und erwirke, dass für ihn allein der Tag eine 25. Stunde bereithalte. Wer es irdischer hält, handle frei nach Egon Erwin Kisch: Jeder Mensch hat eine Geschichte in der Tasche, auch wenn er es oft nicht weiß. Diese Geschichten möchte Markwort. Exklusiv natürlich.

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