Die Sims und andere "Personensimulationsspiele":Pixel machen Leute

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Digitale Barbie Puppen gehen in einem vituellen Entenhausen regelmäßigem Broterwerb nach, um sich ein Leben wie im "Denver Clan" leisten zu können. Das ist das Spiel - doch wie hält man den Spieler bei der virtuellen Kleiderstange? Man befragt Trendscouts.

BERND GRAFF

Ein kompliziertes Wort: "Personensimulationsspiel".

Achtung: Auch digitaler Tand wird unmodern! (Foto: Foto: Electronic Arts)

Es klingt nach Schabernack aus der Ausweis-Abholstelle. Nach der Sorte Ulk, zu dem nur Pensionsberechtigte fähig sind. Gemeint ist aber eine Klasse von Computerspielen. Gemeint sind die "Sims" von Electronic Arts - die mit "Sims 2" wiedererweckten Lebens-Simulanten im erfolgreichsten PC-Spiel aller Zeiten. Gemeint ist auch Ubisofts "Playboy. The Mansion", eine Personen-Kult-Simulation um Leben und Stil des Zeitschriftengründers Hugh Hefner und um seine Häschenschule. Und gemeint sind die "Urbz", eine Art urbane Frischluftvariante der Sims, die in hippen Hinterhöfen und Goldketten-Ghettos ihrem Glück nachjagen - oder dem, was Konsumenten Glück nennen.

Gemeinsam ist diesen Spielen eines: "Life Credibility", mutmaßlich lebensunmittelbare Glaubwürdigkeit - möge sie von der bösen Straße, aus einem Apfelkuchen-Suburbia oder aus dem Loft eines Berufsplayboys kommen.

Pittoresk verlebt oder adrett gescheitelt kommen die Figuren daher - puppenstubenhaft verschnörkelt oder Vorabendserien-verrucht ist ihr Ambiente. Abgemischt wird das Ganze zur Kombination aus Martha Stewarts neuestem Versandhaus-Katalog und dem Homeshopping-Kanal für Drogensüchtige.

Doch macht man sich mit lebensidentischen Stoffen nur so weit schmutzig, wie ein David Beckham Haargel aufträgt: Von allen Abscheulichkeiten, die das Leben bereithält, findet man die geföhnte Variante.

Was aber ist unter diesen gut gepolsterten Bedingungen ein "Personensimulationsspiel"?

Vereinfacht steckt dahinter das Konzept der Barbie-Puppe als zoon politikon, als vergesellschaftetes Wesen. Oder auch: Denver Clan in Digitalien. Zunächst aber ist es oft nicht mehr als ein leerer Baugrund mit dem definierten Auftrag an den Spieler: Mach' was draus!

Pursuit of Happiness steht auf dem Programm, das Streben nach persönlichem Glück. Dazu zwängt der Spieler seine digitalen Zöglinge in das Korsett von sozialen Infrastrukturen, welche sich ungefähr an die Realitätsstandards von Entenhausen halten - und an das Credo des pragmatischen Materialismus: Der Sim ist, was er ist, und er hat gefälligst das Beste aus sich zu machen. Auch in liebestechnischer Hinsicht. Denn dem Spieler wird durchaus abverlangt, dass er am Glück seiner Geschöpfe von der Zeugung kleiner Baby-Sims an arbeitet.

Populationen, Kopulationen - ein bisschen Sozialer Brennpunkt, ein wenig Frankensteins Resterampe: Wir müssen uns das von Computern simulierte Leben als onduliertes Rattenrennen vorstellen - und die Simulanten darin als Spießer.

Aber auch die wollen - natürlich immer auf Augenhöhe ihres augenblicklichen Kontostandes - ausgestattet sein. Und zwar mit City-Look und Lifestyle, also mit Frisur, Make-up, vor allem mit standesgemäßer Kleidung. Außerdem benötigen sie ansprechendes Interieur für ihr Heim der Braven. Andernfalls werden sie trübsinnig.

Dieses grotesk lebensnahe "Setting" des Spiels hat das Online-Magazin telepolis bereits zu lustvoll-tiefschürfend existenziellen Fragen verleitet: "Ist nicht doch Leben in ihnen?", fragt es etwa, und: "Ist der Mensch für die Sims ein Gott?" So weit muss man dann aber doch nicht gehen. Nimmt man aus dem "Personensimulationsspiel" den Begriff der "Person" wörtlich, dann steckt darin das lateinische Verb "personare: hindurchsprechen". Ursprünglich bezeichnete es die Rolle des Schauspielers, der durch seine Maske sprach. Hier spricht - wenn auch mit unüberhörbar ironischem Grundton - der unmaskierte Geist des "Shop und werde!" Ausdrücklich wirbt man für die "Urbz" mit dem Slogan: "Du siehst es. Du brauchst es. Kauf' es!"

Um nun den Spieler bei der künstlichen Kleiderstange zu halten, beschäftigen die Spielehersteller Trendscouts und Stilberater, die im wirklichen Leben Fetische des vorzeigbaren Glücks ausmachen.

Hier zeigt sich - wenn auch mit unüberhörbar ironischem Grundton - der unmaskierte Geist des "Shop und werde!" (Foto: Foto: Electronic Arts)

Im Jargon: "abgefahrene Gegenstände für die Luxusbude" (Urbz) und "geschmackvolle Modekombinationen" (Sims). Die Outfits aus dem "Playboy-Mansion" etwa wurden mit dem Terminplan für die Veröffentlichung der realen Style-Guides der Marke abgeglichen, um noch die letzten Details übernehmen zu können.

"Wir kannten die Termine unserer Fashion-Linien", sagt Brenda Brathwaite, Chef-Designerin des Playboy-Spiels: "Darum haben wir die Programmierung für die Digital-Kleidung an das Ende gestellt, um die letzten Styles mitzubekommen. Wir sind jetzt auf dem Stand der Kollektionen von Herbst/Winter 2005, also ziemlich up to date."

Tatsächlich ist die Halbwertzeit modischer Hipness mittlerweile auch ein Problem in den Kaufrausch-Simulationen: Auch digitaler Tand wird unmodern. Wie Mary Jean Chun, eine der Produzentinnen aus dem EA-Studio Maxis, ausführt, wird das Spiel "Sims 2" daher nur mit einer unverbindlichen Basis- und Allzeit-Garderobe ausgeliefert, die aktuellen Trend-Marken lediglich ähnelt.

Dem Spiel ist jedoch das Zusatzprogramm "Body-Shop" beigegeben, das den Spielern gestattet, Detailanpassungen vorzunehmen und auch eigene Entwürfe zu entwickeln.

Doch Mode macht auch Arbeit. Wenn also der Hobby-Armani mit seinen Entwürfen in den Online-Gemeinschaftsraum von "Sims" eintaucht: Darf er seine Digital-Kreation dann auch als reale Wertschöpfung begreifen? Muss man also die Digital-Schneiderei entlohnen? Man muss - im Spiel, mit Spielgeld. Schon jetzt kann man aber auch die Währung der Sims für reales Geld einkaufen. Der Kurs: 4Millionen Simoleons für 129,99 Dollar (www.ige.com). Und einige Juristen, wie etwa Beth Simone Noveck, Professorin an der New York Law School, beschäftigen sich bereits mit der Frage, ob auch ein Diebstahl von Digital-Klamotten innerhalb solcher Spiele wie ein realer Raub zu ahnden sei.

Für die Glaubwürdigkeit der Handlung spielt die mutmaßliche Authentizität der Ausstattung also mindestens eine ebenso große Rolle wie im Film. Ein Aspekt, der sich mit der technischen Fortentwicklung hin zu mehr Bild-Realismus sogar noch steigern dürfte. Schon spekulieren die Hersteller von Spielen darauf, selber zu Trendsettern zu werden und eigene Stil-Ikonen à la "Matrix" hervorzubringen - und andererseits, den Mode-Labels so etwas wie einen virtuellen Laboratoriumslaufsteg anbieten zu können. Wer sagt denn, dass man die Akzeptanz einer Kollektion nicht zuerst in Personensimulationsspielen testet, bevor man sie real auf Kleiderbügel hängt? Jacqueline Otten, Professorin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich, erkennt in den Spielen bereits die "interessante Vermarktungsplattform für Anbieter in der Bekleidungsindustrie." Sie erwartet, "dass es bald den ,Virtual Fashion Designer' als Berufsbild für Designer geben wird, so wie es die Ausbildung für Kostümbildner gibt."

So zeigen die blitzschnell umgesetzten Tagestrends aber vor allem eines: Das Spiel will wie Leben sein. Wo es war, soll ich werden.

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