Die Schatten von Saaleck:In den Fängen eines Hobbyhistorikers

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Der Umgang mit dem Vermächtnis des NS-Architekten Paul Schultze-Naumburg entwickelt sich zum Skandal.

Günter Kowa

Die kleine Stadt Bad Kösen bei Naumburg, hoch verschuldet durch Fehlinvestitionen in ihre Kurhäuser, hat noch ein anderes kulturelles Erbe, mit dem sie genauso wenig Glück hat. Was wäre auch anzufangen mit dem herrschaftlichen Anwesen von Paul Schultze-Naumburg (1869-1949), idyllisch gelegen im Vorort Saaleck auf den Kalkfelsen hoch über dem Saaletal?

Bei der Suche nach einem angemessenen Umgang mit dem zweischneidigen Vermächtnis dieses Architekten der Heimatschutz-Bewegung und NS-Rasseideologen verlassen sich die Stadt und noch viel mehr das Land Sachsen-Anhalt seit gut zehn Jahren auf eine Stiftung, die nach Schultze-Naumburgs einstiger Handwerkerschule, den "Saalecker Werkstätten", benannt ist. Doch wer sich dieser Tage die Ausstellung anschaut, mit der die Stiftung sein Leben und Werk darstellt, gerät sehr ins Grübeln.

Stünde hier eine Initiative am Anfang, würde man ihr Nachholbedarf in wissenschaftlicher Aufarbeitung und musealer Präsentation zubilligen. Aus dem Staunen aber kommt nicht heraus, wer erfährt, dass die Stiftung und ihr Förderverein "Öko-Werkstatt an der Finne" seit 1999 Empfänger öffentlicher Zuwendungen in Höhe von mindestens einer Viertel Million Euro ist, von privaten Spenden und solchen aus der lokalen Wirtschaft nicht zu reden. Seit 2002 ist sie Eigentümerin des "Architektenhauses", während die Stadt das übrige Grundstück mit Haupthaus, Nebengebäuden und Garten bei einer Auktion an Privatleute verkauft hat.

Durch diese Trennung sind etwa vier Fünftel der Anlage dem öffentlichen Blick entzogen. Dass es dazu kam, weil man der Stiftung einen vernünftigen Umgang damit nicht mehr zutraute, gibt der Geschäftsführer der Bad Kösener städtischen Wohnungsgesellschaft, Thomas Budde, und damit der vorige Eigentümer, freimütig zu.

Die vorderste Riege der NS-Architekten

Von außen ist immerhin der gutsherrliche Lebensstil des Architekten zu erahnen. Den empfahl Schultze-Naumburg zeitlebens seinen Auftraggebern, für die er pseudoaristokratische Schlösser von gediegener Pracht baute, vom Palladio-Verschnitt im Wiesbadener Schloss Freudenberg über das Tudor-Schloss Cecilienhof für Kronprinz Wilhelm von Hohenzollern bis hin zu ungezählten neo-barocken Hofanlagen wie Gut Marienhal. Seine Ambitionen, in die vorderste Riege der NS-Architekten vorzudringen, scheiterten 1935 am zurückgewiesenen Entwurf für das Gauforum in Weimar.

Die Saalecker Anlage blieb ein Stückwerk, das er bis 1924 immer wieder erweiterte. Ins so genannte Architektenhaus gelangt, wer die Ausstellung zu sehen wünscht. Aber eine Deutung der ambivalenten Gestalt Schultze-Naumburg findet der Besucher nicht. Vielmehr wird auf elf Tafeln der intrigante Gegner der Moderne und des Bauhauses, der "Säuberer" der Weimarer Hochschule, der Gastgeber Hitlers, der Vertraute von Blut-und-Boden-Theoretikern sowie der Autor von "Kunst und Rasse" gegenüber dem "Lebensreformer" herunterspielt. Der Eindruck von Rumpelkammern im Haus deutet nicht gerade auf den Aufbau einer Forschungs-, Mahn- oder Gedenkstätte, die diese Bezeichnung verdiente.

Dabei hat die Lotto-Gesellschaft Sachsen-Anhalt auf Anraten des Magdeburger Kultusministeriums etwa die Einrichtung eines Archivs mit 5 000 Euro unterstützt. Auch Mittel für ABM-Kräfte standen zur Verfügung. Zu sehen sind einige ungeordnet aufbewahrte, wohl eher zufällig zusammengetragene Bestände. Von den "Lebenserinnerungen" Schultze-Naumburgs etwa, die als Typoskript in Familienbesitz sind, liegen nur ein paar fotokopierte Seiten vor. Von einer Basis für ernsthafte wissenschaftliche Arbeit kann angesichts einiger loser Aktenordner keine Rede sein. Weiter sind auch mehr als 60 000 Euro in die Sanierung des Gebäudes gesteckt worden, aber mit welchem Ziel erscheint schleierhaft.

Welches schlüssige Konzept für den Umgang mit dieser historisch aufgeladenen Stätte verfolgt wird, ist nicht zu erkennen. Es flossen Mittel für die Schriften- und Vortragsreihe, auch für eine restauratorische Bauuntersuchung, dann wieder für "Sommercamps" mit gymnasialen Kunstpleinairs und Liederabenden.

Doch die verschwommene Zielsetzung spiegelt die Umtriebigkeit des eigentlichen Motors der Stiftung, des Architekten und selbsterklärten "Hobbyhistorikers" Bernd D. Romswinkel. Mitte der 90-er Jahre kam er aus Dorsten nach Saaleck und machte aus der Sympathie für sein berufliches Vorbild eine missionarisch durchdrungene Lebensaufgabe. Mit rhetorischer Überzeugungskraft beeindruckte er Honoratioren aus Kommunalpolitik und Wirtschaft, Wissenschaftler der Weimarer Universität, örtliche Baufachleute, den Landeskonservator und schließlich auch den Kulturabteilungsleiter im damaligen Regierungsbezirk Halle.

Die Förderer aber dachten wohl all die Jahre, dass unter dieser Leitung Saaleck aufklärerisch entsorgt werden würde. Aber die Frage nach dem Sinn und Zweck einer öffentlich geförderten Würdigung Paul Schultze-Naumburgs beschränkte sich auf die bürokratische Prüfung von Verwendungsnachweisen. Der erste Besuch eines Abteilungsleiters aus dem Kultusministerium fand vor wenigen Wochen statt. Der stellt nun fest, dass "kein Anlass für weitere Förderung" bestehe.

Esoterisches Zentrum?

Was vorher war, dafür dient der wissenschaftliche Beirat als Feigenblatt. Der wurde berufen, nachdem Anfang 2000 die Kritik an Romswinkel nicht mehr zu überhören war. Seine dilettantische, eigenhändig aus Fotokopien auf Stellwänden ausgebreitete Ausstellung im Haupthaus verharmloste Schultze-Naumburg ebenso wie die unkritischen Beiträge im ersten Heft der Schriftenreihe. Da fand der Beirat unter dem Vorsitz des Weimarer Historikers Justus H. Ulbricht noch deutliche Worte: "Der Stiftungszweck in historischer Kontinuität der ,Saalecker Werkstätten' ist problematisch und missverständlich . . . erweckt den Eindruck, es gehe um eine unkritische Schultze-Naumburg-Renaissance . . . deutet eher auf ein esoterisches Zentrum als auf eine inhaltlich offene Begegnungsstätte".

Zwar setzten die folgenden beiden Ausgaben der Schriftenreihe deutlich andere Akzente, aber der Beirat verkörpert auch selbst in einigen seiner Mitglieder eine gespaltene Haltung zu Schultze-Naumburg. Vor allem ist er längst wirkungslos zerschellt an der eigensinnigen Persönlichkeit des Stiftungsvorsitzenden. Intern weiß keiner mehr genau, wer noch dabei und wer zurückgetreten ist. Angebliche Mitglieder, die Romswinkel nennt, wissen nichts von ihrem Glück.

Der Journalist und NS-Forscher Wolf Stegemann, ein Landsmann Romswinkels aus Dorsten, trat kürzlich zurück, weil er überhöhte Rechnungen schreiben sollte. Die Stiftungsaufsicht in Halle hat er auf das Fehlen regulärer Mitgliederversammlungen und die katastrophale Finanzlage der Stiftung hingewiesen. Die Reaktion waren Beschwichtigungen.

Die Krise dürfte schon längst Romswinkels eigene sein. Ende letzten Jahres hat ihn die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen ausgeschlossen. Dass Romswinkel "nichts delegiert" und "nicht mit Geld umgehen kann", stellten selbst gutwillige Wegbegleiter immer sehr bald fest. Bei Fördermitteln wurden schwere Fehler gemacht, die der Dachdeckermeister Holger Fritzsche mit unbezahlten Rechnungen in Höhe von fast 37 000 Euro ausbaden musste.

Vor Gericht schob Romswinkel mal die Stiftung, mal den Förderverein, der inzwischen insolvent ist, als Auftraggeber vor. Neuerdings hat Romswinkel einen Mieter mit offenkundigen sozialen Problemen einquartiert. Der Versuch eines Umgangs mit Paul Schultze-Naumburg in Saaleck endet nach zehn Jahren konzept- und argloser Kulturpolitik im Debakel.

© SZ vom 3.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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