Die DVD von Bernd Graff:"Ich bin kein Held, das ist mal sicher!"

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1975 - Jahr der Entscheidung: Ein fantastisches Medien-Paket bringt Bruce Springsteens erstes Europa-Konzert, sein Album "Born To Run" und ein "Making Of" dieser Platte zusammen. Danach versteht man, warum aus Springsteen "The Boss" wurde.

Bernd Graff

30 Jahre können eine lange Zeit sein. Vor allem für die Titel der sogenannten Popmusik. Manchmal sorgen die Hits der Jugend beim Wiederhören dann für peinliches Erröten - und manchmal für Erstaunen ob ihrer unverbrauchten Frische. Im vorliegenden Fall gilt Letzteres.

(Foto: N/A)

Inzwischen ist es ja so, dass der gute Bruce Springsteen zu so etwas wie einer wandelnden Antikensammlung verkommen ist. zu einem lebenden Untoten der kommerziellen Musik, den man "The Boss" nur noch deshalb nennt, weil man ihn irgendwie bezeichnen muss - wie ein Markenwaschmittel eben auch. Sein Wallhall jedoch ist inzwischen der Walmart.

Denn Bruce Springsteen ist längst in den Niederungen der Unverfänglichkeit und des massenhaften Abverkaufs gekommen - wie die Stones eben auch. Warum gibt es eigentlich keine Springsteen-Version von Volkswagen?

Das ist tatsächlich überhaupt nicht despektierlich gemeint. Springsteen ist ohne Zweifel eine bedeutende Rocklegende. Aber das scheint nun mal unausweichlich: Lebende Legenden, Rocklegenden zumal, sind mit wachsendem Erfolg in der Gefahr, zum Selbstläufer der von ihr angestoßenen Hitmaschine zu werden. Zum knarzenden Denkmal mit Verweis auf die eigene historische Leistung und zum Steinernen Gast in jeder noch so lausig sortierten Plattensammlung.

Mit anderen Worten: Auch ein Springsteen zeigt inzwischen eine Tendenz in Richtung Elevator-Music.

Dass aber Springsteen zum Wühltisch-Mythos: "The Boss" verkam, hat nicht zum geringsten Teil mit einem Album zu tun, seinem dritten, das vor nunmehr 30 Jahren erschien und bald zum unauslöschlichen Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses einer ganzen Generation wurde. Ein Klassiker also - schon damals.

"Born To Run" heißt dieses Epoche machende Album, 1975 erschienen, das sich seitdem über sechs Millionen Mal verkauft hat. Ein Wahnsinnserfolg, dem man längst nicht mehr den Schweiß ansieht, der bei seiner Erstellung geflossen ist.

Das ist jetzt - auf ungemein spannende Weise - anders. Denn aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums hat die Plattenfirma SonyBMG eine Kollektion mit "Born-To-Run"-Hör-und-Seh-Devotionalien zum schmucken Paket verschnürt und herausgegeben.

Zwei DVD´s und eine CD, dazu Booklets, sind nun zu der "Born To Run - 30th Anniversary Edition" verbunden. Erwartbar darin sicherlich: Das Album selber auf CD.

Dann aber gibt es, und das ist schon mit ersten darauf konservierten Note ein überraschendes, ja anrührendes Erlebnis ... Es gibt eine DVD mit dem bislang nicht veröffentlichten Springsteen-Konzert im Hammersmith Odeon in London aus dem Jahr ´75, wenige Monate nach dem Launch der Platte. Es war Springsteens erstes Konzert in Europa.

Gekommen war er zwar mit einigen Vorschusslorbeeren: "Born To Run" hatte Amerikas Kritiker begeistert - wie die beiden Vorläufer zuvor schon. Doch der kommerzielle Erfolg, der Erfolg der Straße, war bislang ausgeblieben, und Springsteen stand unter nicht geringem Druck. Wie lange würde seine Plattenfirma noch mitspielen, würde noch Verständnis dafür aufbringen, dass ein einziger Song wie etwa "Thunder Road" im Tonstudio sage und schreibe ein halbes Jahr lang immer wieder neu arrangiert und eingespielt wurde?

Springsteen, der sich niemals als Freizeitbeschaller, sondern auch schon zu Beginn seiner nicht vorhandenen Karriere immer als Musiker aus Leidenschaft verstanden hat, stand an diesem Abend in London vor Wohl oder Wehe - und er stand vor einer geburts-mäkeligen Kritikerschaft, die vermutlich alles andere als ein Bürschchen aus New Jersey und seine merkwürdige E-Street-Band auf den Rock`n´Roll-Schild heben würde. Wie stark der Druck auf ihm lastete, merkt man etwa daran, dass er sein Publikum zwischen den fulminanten Nummern nie anspricht. Trotz der fulminanten Nummern.

Springsteen, damals 26, beginnt das Konzert völlig unerwartet - nicht mit der Platten typischen "Wall of Sound". Er beginnt eben nicht mit jenen Bombast-Manierismen, die "Born-To-Run" teilweise zu erdrücken drohen.

Nein, Springsteen startet solo, lediglich in Klavier-Begleitung, mit einer wirklich beeindruckenden Stimme. Er bringt, in schlecht sitzender Lederjacke und versteckt unter einer geradezu tölpelhaft wippenden Wollmütze: "Thunder Road", die Hymne des klugen, pragmatisch-romantischen Provinz-Kids auf die Sommernacht. Wunderbar.

Springsteen ist da schon ganz bei sich, authentisch ist er, einfach göttlich. Ein Mann, der zu verkörpern scheint, wovon er singt. Allein diese Londoner Fassung des Songs kann das ganze DVD-Paket tragen.

Trotz des albernen Goofy-Mützchens, das er damals wirklich im Koffer hätte lassen können.

Doch da ist noch mehr. Neben der ordentlich remixten Konzert-DVD gibt es noch so etwas wie ein Confidential: das "Making of" von "Born To Run" mit Originalszenen aus dem Studio und frischen Interviews mit nahezu allen Beteiligten von damals. Springsteen und sein Manager Jon Landau haben dieses Studio 2005 noch einmal aufgesucht und haben sich die Master-Tapes von Born To Run angehört. Die Kamera war dabei: Ein 90-minütiger Film ist so entstanden, der den bezeichnenden Titel: "Wings for Wheels" trägt.

Der gereifte Springsteen fühlt sich darin noch einmal in diese entscheidende Phase seines Lebens ein und erläutert, dass sein Lebensgefühl damals von "Flucht", "Unsicherheit", und der "Suche nach Orientierung" bestimmt war. So habe er jeden Song zum B-Movie machen wollen, zu einem der guten B-Movies, versteht sich. Sein Plattentitel habe sich aus diesem Anspruch fast zwangsläufig ergeben: "Born To Run" - das ist auch eine präzisierende Antwort des Rock auf die "Geworfenheit" der abendländischen Philosophen.

Egal, wie steinern und saturiert der heutige Springsteen auch sein mag - dieses Medien-Bukett zu "Born To Run" beatmet seinen Mythos erneut. Ja, das ist tatsächlich wieder faszinierend.

"Born To Run - 30th Anniversary Edition"

CD: "Born to Run"

DVD 1: Das komplette Bruce Springsteen Konzert vom 18. November 1975 aus dem Hammersmith Odeon, London (Dauer: ca. 130 Minuten) in Stereo und 5.1 Dolby Digital Sound

DVD 2: Dokumentation: "Wings for Wheels" - mit Filmausschnitten und Interviews aller Bandmitglieder (Dauer: ca. 90 Minuten)

48-seitiges Booklet mit unveröffentlichten Fotos und Notizen

Publisher: SonyBMG, ca. 30 Euro

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