Die Clubkulturindustrie:Sven Fad am Plattenteller

Lesezeit: 4 min

Die Dance-Kultur siecht im Banne einer DJ-Gerontokratie dahin. Aber die lauten alten Herren haben versprochen, niemals aufzuhören. Da ist sie also, die schrecklichste aller Drohungen.

DIRK PEITZ

Die Welt, sie geht mal wieder nur mit einem Wimmern zu Ende, nicht mit einem Knall. In Großbritannien stirbt die Clubkultur, und es ist ein langes Siechen. Die Liverpooler Großdisco Cream musste schließen, der Vergnügungstempel Gatecrasher in Sheffield versucht mit einem Totalumbau das verloren gegangene Publikum zurückzuholen und der Londoner Club-Multi Ministry of Sound hat sein Musikmagazin eingestellt, weil die Auflage unter 50000 gefallen war. "Dance Music", schreibt der Guardian, "das Genre, das die Kleidungs-, Trink-, Drogen- und sozialen Gewohnheiten der Menschen jenseits aller Vorstellungskraft revolutioniert hat, kämpft ums Überleben." Dabei schien es, als hätten die Briten die Clubkultur neuerfunden, mit einer perfekten Geschäftsidee - der Ausdehnung ihrer Verwertungskette auf jeden nur denkbaren Geschäftsbereich.

Die DJ-Tätigkeit ist ein erlernbares Handwerk, dessen Meisterschaft im kunstvollen Collagieren vorgefundenen Materials besteht. Im Bild: Der Meisterbetrieb Väth. (Foto: Foto: AP)

Ministry of Sound etwa betreibt neben seiner Ursprungs-Disco in London ein Plattenlabel, vermarktet sich selbst als Party-Konzept, verkauft sein eigenes Merchandising und hatte eben auch eine Zeitschrift, mit der das Image des Clubs weiterverbreitet wurde. Und nun - wollen die Leute nichts mehr davon hören. Wer aber ist schuld an der Misere? Die hohen Eintrittspreise der Superclubs, das Fehlen eines neuen Trends in der Dance Music, die Rückkehr des Rock - oder vielleicht am Ende die DJs, die doch die ganze Unterhaltungsmaschine erst zum Tanzen bringen?

Auffällig jedenfalls ist: In England, in Deutschland, ja in ganz Europa wird der Dancefloor von einer kleinen Gruppe DJs beherrscht, deren Zusammensetzung sich seit Jahren nicht verändert und deren Mitglieder allesamt nicht mehr so irre jung sind. Ein überschaubarer Haufen Enddreißiger und Fortysomethings hat die Claims der Großclubs und Raves unter sich aufgeteilt - in Großbritannien die beiden just vierzig Jahre alt gewordenen Paul Oakenfold und Norman Cook (Fatboy Slim), in Deutschland Sven Väth, 38, und Maximilian Lenz alias Westbam, 38. Der noch immer coolste deutsche DJ - Helmut Josef Geier alias Hell - ist Jahrgang 1962; der Jüngste in der Riege ist der 31-jährige Paul van Dyk, und der hat auch bald anderthalb Jahrzehnte Kanzeldienst hinter sich, fast soviel wie die Vorgenannten.

Sie alle sind Prototypen eines komplexen DJ-Startypus, der sich nicht allein aus der Haupttätigkeit als Plattenaufleger herleitet - sie sind als Produzenten herkömmliche Popmusiker und mit Ausnahme von van Dyk als Betreiber ihrer eigenen Plattenfirmen nebenbei noch Unternehmer. Marktbeherrschende Macht aber besitzen insbesondere Lenz und Väth dadurch, dass sie mit ihren Booking-Agenturen prominente Kollegen vertreten, weshalb kaum ein Rave in Europa an ihrer DJ-Kartei vorbeikommt. Zudem sind die beiden Multifunktionäre in Sachen Dance Music noch ihre eigenen Party-Veranstalter, die sich selbst in Hauptrollen besetzen: Väth bespielt mit seinem Anhang unter anderem im Sommer jede Woche die ibizenkische Touristendisco Amnesia, Lenz ist Mitorganisator des letzten großen deutschen Indoor-Raves, des alljährlichen "Mayday" in der Dortmund Westfalenhalle.

So haben die DJs, ähnlich wie die britischen Superclubs, die eigene Marke mehrfach verwertet. Und ähnlich wie bei zeitlosen Markenprodukten blieb ihnen die Publikumsgunst über Jahre sicher - eine Tatsache, um die sie viele Popmusiker beneiden dürften. Die DJ-Tätigkeit ist ein erlernbares Handwerk, dessen Meisterschaft im kunstvollen Collagieren vorgefundenen Materials besteht. Den typischen Berufsrisiken von Popstars sind die DJs nicht ausgesetzt - sie können jede Mode mitmachen ohne, wie die Musiker im Fall ihres Scheiterns, als Erfinder oder Performer von uncooler Musik zur Verantwortung gezogen zu werden. Trotzdem gerät der zeitgenössische DJ-Startypus mit dem Altern seiner Protagonisten in eine Situation, wie sie für den Pop typisch ist - irgendwann sind die Leute die ewig gleichen Gesichter satt, es bedarf des Generationenwechsels. Doch der wird von den etablierten Kräften beharrlich verweigert. "We'll never stop living this way", nannte Westbam eines seiner Alben. Nun könnte dieses "Wir" in einem Ein-Generationen-Projekt der Vierzigjährigen aufgehen.

Denn die Clubkultur hat ein spezifisches Problem: Weil sie sich an ein prinzipiell junges, im Gegensatz etwa zum klassischen Rock nicht mitalterndes, sondern sich konstant austauschendes Publikum zwischen 15 und 30 wendet, wird der Altersabstand zwischen den DJs oben an den Plattenspielern und den Tänzern unten immer größer. Außerdem gibt es da dieses visuelle Image-Problem - so sexy wie die jungen Mitglieder der neuen Rock-Revival-Bands The Strokes oder White Stripes werden Väth und Lenz im Leben nicht mehr. Dass die Massen dereinst zum sechzigsten Geburtstags-Rave von Westbam strömen werden, wie sie dies heute zu einem Konzert der Rolling Stones tun, ist eigentlich unvorstellbar, weil House und Techno als Genres bislang definitorisch auf Jung programmiert waren. Aber es gibt sie jetzt eben auch in der Dance-Kultur, die boring old farts, die langweiligen alten Säcke, die bisher eine Spezialität des Rock waren. Ein Modell fürs würdevolle Altern bei 160 Beats pro Minute jedenfalls ist bislang nicht existent - und rein körperlich auf die Dauer ein motorisches Problem, auch wenn Sven Väth mit Ayurveda-Kuren in Indien und Hell mit Alkohol- und Nikotin-Abstinenz gegen die Spuren der Nachtarbeit ankämpfen.

Mit dem Altern der Akteure droht endgültig die musikalische Vergreisung der Genres House und Techno, auch das schien bislang undenkbar: Immer weiter in die Zukunft sollte es gehen, versprach die elektronische Tanzmusik, verhieß doch schon ihre computerisierte Herstellungsweise eine endlose Update-Moderne. Doch ihre musikalischen Neuigkeitswerte verbrauchten sich mit der immer kleinteiligeren Erforschung ihrer Genre-Spezifika. Ein bassgesteuerter Viervierteltakt lässt sich nicht unbegrenzt variieren, die Sound-Datenbänke der Computer sind endlich und alle denkbaren Tempo-Spielarten ausgereizt. So hat insbesondere im Techno längst die Phase der eigenen Historisierung begonnen, in der ein Revival das nächste jagt und das Neue immer schon das Alte ist, bloß auf neu geschminkt. So stirbt die Party oder wird wie die "Love Parade" zum jährlich schlechter besuchten Karnevalsritual, für das die Bauarbeiterwesten, das bunte Haarspray und die Atemschutzmasken noch einmal, vielleicht ein letztes Mal, als Verkleidung vom Speicher geholt werden. "We'll never stop living this way"? Das klingt mittlerweile wie eine Drohung.

© SZ v. 01.09.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: