Die A-Bombe und der Pop:Die Ikone des Grauens

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Der Atompilz ist zum Symbol für absolute Vernichtung geworden, für den modernen Krieg, den niemand gewinnen kann. Ein Bild, so Furcht einflößend wie faszinierend, dass die Trivial- und Popkultur sich schon in der heißesten Phase des Kalten Krieges der blendend-weißen Wolkenformation annahm. Eine Bildergalerie

Frederic Huwendiek

Seit Jahrhunderten versuchen Menschen den Schrecken des Krieges in Bildern zu fassen, zu visualisieren: Das Unfassbare, Unerträgliche und Brutale auf Papier, Leinwand oder Zelluloid zu bannen, um ihm ein Bild, eine Formel oder eine eindeutige Metapher zu geben, die im Wortsinn den Schrecken "bannt". So überrennen schon im 15. Jahrhundert Dürers biblische "Reiter der Apokalypse" mit Bogen und Schwert ihre wehrlos am Boden liegenden Opfer. Im neunzehnten Jahrhundert zeigt Rethels "Todtentanz" etwa ein triumphierendes Skelettt auf einer Schindmähre, das an Sterbenden vorbei reitet.

Blatt 6 aus Alfred Rethels "Todtentanz"-Bilderreihe von 1848. (Foto: Foto: Rethel)

So ist diese charakteristische, sich nach unten hin verjüngende Wolkenformation, zum letztgültigen Symbol für absolute Zerstörung geworden, die modernen Zeiten wurden zum Nuklearzeitalter. Und der Pilz zum Icon eines zivilisatorischen Grauens.

Der Atompilz symbolisiert die Apokalypse der Moderne. Er bindet die Angst vor dem entgrenzten Krieg, der - Schlag und Gegenschlag - alles menschliche Leben auf der Erde auslöschen könnte. Das unfassbare Leid der Opfer von Hiroshima und Nagasaki, an die gerade zum 60. Mal erinnert wird, erscheint durch dieses Symbol auf ein vermeintlich begreifbares Abbild reduziert.

Der Atompilz als Popikone

Wie aber konnte dieses ultimative Symbol der absoluten Vernichtung Eingang in die Welt der Popkultur finden?

Weil das Unglaubliche und Schreckliche abstoßend und faszinierend zugleich sein kann?

Weil diese entfesselte Energiefreisetzung bis dato ungekannten Ausmaßes eine wahrlich ungeheure Anziehungskraft auszuüben vermag?

Oder hat der Siegeszug des Pilzes vielmehr seinen Anfang in der amerikanischen Sieges-Ephorie nach dem Endes des Zweiten Weltkriegs genommen?

Gerade in den 50er und 60er Jahren herrschte in den USA eine regelrechte Atombomben-Hysterie. Man spielt mit dem Schrecken - auch ein Versuch, ihn zu fassen.

Songtitel wie der "Atomic Polka" oder "You Hit Me Baby Like An Atomic Bomb" laufen in den Radios, die Slapstick-Komödie "The Atomic Kid" wird mit dem Slogan "An Explosion Of Laughs!" beworben. Atomic Entertainment, everywhere.

"Nuclear Pop": Miss Atomic Blast und Roy Lichtenstein

So feierten die Amerikaner die Atomtests in der Wüste von Nevada in den 50er Jahren unter anderem mit etlichen Miss-Wahlen: "Miss Atomic Blast" ist wohl die Berühmteste unter ihnen. Nur Watte bedeckt die Blöße der attraktiven, blonden Lady auf einem bekannten Foto, das heute im "Atomic Testing Museum" in Las Vegas steht - Watte in Atompilzform.

Robert Friedrichs, ein Physiker der National Nuclear Security Administration, sagte der LA Times über das nukleare Sexsymbol: "Sie ist wahrlich ein Stück Popkultur".

Ein ähnlich unbeschwerter Umgang mit der Bombe zeigt sich - auch heute noch - in etlichen Comics: So posiert "Radioactive Man" von den Simpsons-Machern stolz grienend auf dem Cover der ersten Ausgabe vor einer gewaltigen Atombombenexplosion.

Auch zahllose Bands aus dem Heavy Metal- und Hard Rock-Bereich leihen sich das düstere Symbol des Atompilz und schmücken damit ihre CD- und Plattencover: Der Schrecken der Atombombe als visuelles Feature für morbide Soundtracks.

Künstler der Pop Art, wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein, machen die Atombombenexplosion zu einem Motiv und Thema ihrer Werke. Unzählige Bücher und Zeitschriftentitel buhlen mit dem einprägsamen Bild um Leser.

Als "Nuclear Pop" bezeichnen manche diese Verarbeitung des großen Schrecklichen in der modernen Populärkultur. Doch die "Mushroom Cloud" ist omnipräsent. Kaum wegzudenkender Teil der Bildersprache des 20. und 21. Jahrhunderts. Auch und gerade 60 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki.

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