Dichtung und Revolution:Bilder einer Zeitenwende

Wie ein Blog von Laura Mokrohs und der Zeichnerin Barbara Yelin im Literaturportal Bayern die Revolution 1918/19 beschreibt - und Leerstellen der Geschichte füllt

Von Antje Weber

Wir gehen dunklen Tagen entgegen", sagt Kurt Eisner bei der ersten Sitzung des "Provisorischen Nationalrats". Es ist der 8. November 1918, und natürlich kann der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrates und erste Ministerpräsident Bayerns da noch nicht wissen, dass er wenige Monate später ermordet wird. Trotz aller düsteren Ahnungen hat er große Pläne - in der Hoffnung, dass mit den politschen Umwälzungen "eine hellere, reichere und freiere Welt entstehen wird". Auf dem Weg zu dieser freien Welt sind in den vielen nun folgenden Sitzungen im Landtagsgebäude an der Prannerstraße die ersten Übungen in Demokratie zu besichtigen.

Wer diese Anfänge des Freistaats Bayern in der Rückschau verstehen will, dem fällt das Besichtigen im Wortsinne allerdings nicht ganz leicht. Es gibt zwar so manche Fotografien zu den Geschehnissen der ersten Tage, Wochen, Monate der Demokratie in München und Bayern, zur Entwicklung und alsbaldigen Niederschlagung der Räterepublik. Doch die meisten dieser Fotos sind tendenziös: Sie stammen vom Münchner Fotografen Heinrich Hoffmann. Der wird später der Propaganda von Adolf Hitler dienen, doch auch schon während des Ersten Weltkrieges und in der revolutionären Nachkriegszeit nutzt der Porträt- und Pressefotograf seine Fotos und Postkarten, um die Räterepublikaner in schlechtem Licht dastehen zu lassen.

Diese Bild-Problematik arbeitet die Kuratorin und Germanistin Laura Mokrohs im Begleitbuch zur derzeitigen Ausstellung "Dichtung ist Revolution" im Literaturarchiv Monacensia heraus. Ihr Fazit: "Durch den scheinbar objektiven Charakter der fotografischen Dokumentation ist die propagandistische Wirkung umso größer und trägt so maßgeblich zur negativen Mythenbildung über die Revolution bei." Doch bei diesem bloßen Befund ist es nicht geblieben: Mokrohs hat sich mit der Münchner Comiczeichnerin Barbara Yelin zusammengetan, um die Räterevolution in Text und Bild in einem bemerkenswerten Blog für das Online-Literaturportal Bayern nachzuvollziehen - und die feinen Zeichnungen von Yelin sollen dabei manche visuellen Leerstellen der Geschichte füllen.

"So kann man auch Szenen ins Bild bringen, die nie festgehalten wurden", sagte Barbara Yelin bei einer Pressekonferenz in der Monacensia über dieses Blogprojekt. Und so konnte sie zum Beispiel einen Revolutionsabend im Mathäserbräu zeichnen, der nie abgelichtet wurde - den man sich aber sehr wahrscheinlich so ähnlich vorstellen muss. Sie konnte eine Theresienwiese voller Menschen malen, die - in Sprechblasen angedeutet - das Geschehen kommentieren. Oder eine Litfaßsäule voller Plakate und Aufrufe zeichnen, die von Passanten aufmerksam studiert werden. Zu sehen sind diese Bilder in der ersten Folge des Blogs, die bereits online gestellt ist, ebenso wie die zweite und dritte Folge.

In der zweiten Episode erfährt man zum Beispiel, wie Ernst Toller und Gustav Landauer in München eintreffen, um die Revolution zu unterstützen. Und man sieht ein Bild vom rekonvaleszenten Dichter Toller, der zuvor noch zuhause bei der Mutter in Landsberg an der Warthe die Spanische Grippe auskurieren musste - denn diese oft tödliche Grippe zog in den letzten Kriegsmonaten mit verheerenden Folgen durch ganz Europa. Mokrohs und Yelin geht es also auch darum, das Leben hinter den revolutionären Kulissen zu zeigen - zum Beispiel auch mit einem stillen Winterbild aus Krumbach, wo Gustav Landauer mit seiner Frau gelebt hatte. Oder mit einem Bild vom Münchner Hauptbahnhof, an dem Landauer am 15. November ankommt - sehr klein und allein läuft er da in einer sehr großen Halle zum Bildrand.

Am Dienstag, 18. Dezember, wird die vierte Folge des Blogs online gehen; die SZ gibt auf dieser Seite (mit den zwei Bildern unten links) bereits einen kleinen Vorab-Eindruck dieser nächsten Folge. Noch ist nicht alles fertig gezeichnet, Yelin stellt die Bilder der insgesamt zehn geplanten Episoden bis Mai 2019 erst nach und nach fertig. In der kommenden vierten Episode wird dabei übrigens, wie auch schon in der dritten, ein weiteres Ziel der beiden Bloggerinnen deutlich: auch die an der Revolution beteiligten Frauen stärker in den Blick zu nehmen, als das bisher oft der Fall war. Sah man in der dritten Folge etwa in einem Bild die Sozialistin Hilde Kramer im Gespräch mit Erich Mühsam im Café sitzen, so wird in der vierten Folge die Frauenrechtlerin und promovierte Staatswissenschaftlerin Rosa Kempf in den Blick rücken.

Bei der Sitzung des "Provisorischen Nationalrats" am 18. Dezember 1918 hielt jene Rosa Kempf eine bemerkenswerte Rede. "Zum erstenmal können die Frauen im bayerischen Parlament als gleichberechtigte Mitglieder sprechen", musste sie zu Beginn ihrer Rede gleich einmal loswerden. Als Vertreterin des Hauptverbandes bayerischer Frauenverein war ihr die historische Zäsur sehr bewusst, und sie verhieß, es werde "ein neuer Ton mit der Teilnahme der Frau in die Verhandlungen einziehen".

Unter zahlreichen Zurufen der Versammelten führte sie dann aus, was noch alles zu tun sei, damit die Frauen in der Gesellschaft den Männern wirklich gleichgestellt sind. "Wenn wir in diesem Saal uns umsehen, dann werden Sie vergeblich die gleichberechtigte Beteiligung der Frau suchen. Wo hat der Bauernrat seine Bäuerinnen?", fragte sie. Und: "Wo hat die Arbeiterschaft ihre Arbeiterinnen?" Manche ihrer Fragen bleiben unbeantwortet, bis heute. Rosa Kempf jedenfalls teilte mit Eisner und all den anderen Demokraten, Idealisten, Sozialisten der ersten Stunde, eine Vision: "Wir hoffen mit ganzer Seele, dass die neue Zeit wirklich die Freiheit bringt."

Dichtung ist Revolution, Blog von Laura Mokrohs und Barbara Yelin, im Internet zu finden unter www.literaturportal-bayern.de. Die vierte Folge des Blogs erscheint dort am 18. Dezember.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: