Deutsches Kino:Herr Big

Lesezeit: 8 min

Michael Herbig, genannt Bully, ist das Größte, was dem deutschen Kino passieren konnte. Seinen neuesten Film hat er weitgehend selber finanziert. Die Branche erwartet die Wiederholung eines Kassen-Wunders.

Von Achim Zons

Vermasselt hat er die Sache eigentlich selbst. Mitgefühl wäre deshalb in Ordnung, Schadenfreude nicht. Schuld war nicht irgendetwas, sondern eine frühkindliche Leidenschaft für Filzstifte. Nicht der schlechteste Anfang.

Michael "Bully" Herbig (l.) als Mr. Spuck und Christian Tramitz als Käptn Kork in der Komödie "(T)Raumschiff Surprise - Periode 1". (Foto: Foto: ddp)

Michael Bully Herbig, der damals noch nicht Bully hieß, war vielleicht zehn oder elf Jahre alt, als er sich entschloss, der Einfalt in der Schule durch die Produktion eines Films zu entfliehen. Eines richtigen Spielfilms. Und da er keine Lust hatte, sich mit Schauspielern abzumühen, kam für ihn nur ein Zeichentrickfilm in Frage.

Produzent, Regisseur, Hauptdarsteller, Zeichner und Animateur des Streifens sollte ein Mensch sein, den er gut kannte und dem er vertraute. Und er entschied nach reiflicher Überlegung, sich selbst mit den vielfältigen Aufgaben zu betrauen.

Wie alles begann: Ein heißer Sommer 1979

Es war ein überaus heißer Sommer, damals, 1979. Seine Kumpels spielten draußen Fußball, andere nutzten jede Gelegenheit, an den nächsten See zu radeln, während Bully, der noch nicht so hieß, sich in sein dunkles Kinderzimmer zurückzog, einen Stapel weißes Papier vor sich hinlegte und mit dem Zeichnen begann. Die Filzstifte machten ihn glücklich, es knirschte und quietschte so fein, wenn man die Spitze auf das Blatt drückte.

Zwei Wochen vergingen, der kleine Junge zeichnete Blatt um Blatt, der blaue Filzstift gab zwischenzeitlich seinen Geist auf - doch dann die erstaunliche Bilanz: Er hatte tatsächlich 23 Blätter fertig bekommen. Erstaunlich auch insofern, weil ihm bewusst wurde, dass er noch nicht einmal eine einzige Sekunde seines großen Werks beisammenhatte, denn für eine Filmsekunde braucht man ja 24 Bilder. Das schmerzte. Und er beschloss, wieder Fußball zu spielen und fortan Schauspieler einzusetzen.

Michael Bully Herbig grinst, als er diese Geschichte erzählt. Er sitzt entspannt in der Sonne auf einer Holzbank vor dem Tonstudio A auf dem Bavaria Filmgelände. Er kann entspannt sein, denn er hat sich ja nicht abbringen lassen von seinem Weg, auch wenn er nach diesem ernüchternden Anfang erst einmal ein paar Kurven eingelegt hat.

Was ihn vorwärts treibt

Und man brauchte an diesem sonnigen Tag in München nicht lange, um herauszubekommen, was diesen Menschen von frühester Kindheit an vorwärts treibt und so erfolgreich macht: eine Mischung aus Chuzpe, Unschuld und Hartnäckigkeit, die ihresgleichen sucht und diesen Menschen wohl auch dann nicht verlassen wird, wenn er einmal an einem Abgrund stehen sollte.

Dass wir uns getroffen haben, hat natürlich einen Grund. Michael Bully Herbig steht vor der Fertigstellung seines neuesten Werks mit dem etwas schwergängigen Titel (T)Raumschiff Surprise: Periode 1. Ein Werk, von dem die Branche eigentlich nicht viel erwartet, nur die Wiederholung eines Wunders, nämlich dass es mehr als zehn Millionen Zuschauer in die Kinos lockt, so wie zuvor Der Schuh des Manitu, der erfolgreichste deutsche Film aller Zeiten.

Auf dem Sofa des Erfolgs: Bully neben Topmodel Nadja Auermann und Toptalker Thomas Gottschalk. (Foto: Foto: AP)

Angefangen hat alles in einer lauen Sommernacht 1997. Der Fall schien schwierig zu sein. Michael Bully Herbig machte gerade seit ein paar Monaten die bullyparade, damals ein mäßig bekanntes und gerade erst erfolgreich werdendes Sketchprogramm, das bei Pro 7 lief. Das reichte noch nicht fürs Leben, weshalb er nebenbei Radiogags schrieb, vor allem für den Münchner Radiosender Energy. Der Ort, an dem der denkwürdige Abend seinen Lauf nahm, war München. Die Zeit: so gegen 23 Uhr. Der Zustand: mehr als fatal, denn Bully und Alfons Biedermann, dem Co-Autor, fiel nichts ein.

Alle von Bullys kleiner Firma herbX waren schon weg. Überall Dunkelheit, nur in Bullys Zimmer brannte noch Licht. Draußen Frieden, drinnen Übermüdung und zunehmende Unruhe. Sie wollten sich lustig machen über die Alien-Filme, die damals gerade en vogue waren. Wollten eine Szene schreiben, die sofort ins Herz traf. Hört sich nicht so kompliziert an, aber wenn das Original schon schräg und jenseits jeder normalen Vorstellungswelt ist, dann ist es nicht einfach, da noch etwas draufzusetzen.

Die Eingebung: "Das Alien ist schwul!

Doch dann traf Bully der berühmte Blitz, der in solchen Fällen dankenswerterweise immer aus heiterem Himmel kommt. Und Bully sagte: "Mensch, Alfons, das Alien ist schwul!" Und er sagte als Alien, so pikiert, wie er konnte: "Jetzt beamts mich halt endlich hoch!" Da war es nicht mehr weit zu "Beam me up, Scotty" und dem Raumschiff Enterprise, auf dem die Besatzung, so wollte es die Sketchidee, so sauer war, weil Käpt'n Kork nichts dagegen unternahm, dass sie immer und immer wieder in derselben Scheiß-Milchstraße umherflogen.

Und nach nur wenigen Minuten hatten sie den ersten Dialog, der durch die bullyparade in die Geschichte eingehen sollte, den man sich aber unbedingt tuntig und münchnerisch gesprochen vorstellen muss: "Käpt'n, Käpt'n, ich hab was auf meinem Schirm." - "Ja, dann mach's halt weg."

So fing es an. Und klar: Das ist politisch nicht korrekt. Was möglicherweise das ganze Geheimnis ist: Ein durch und durch liebenswürdiger, sympathischer und überhaupt nicht aufdringlicher korrekter junger Mensch haut mit Begeisterung in jedes Fettnäpfchen, so wie ein Kleinkind mit dem Plastiklöffelchen in das Apfelmus haut, das ihm fürsorgliche Eltern hingestellt haben.

Und je lauter der Aufschrei, um so klarer die Erkenntnis: Komisch ist alles nur, wenn auch ein paar Tabus verletzt werden. Wenn man sich aufregt. Wenn man sich ein klein wenig schämt für das, was passiert. Und wenn man als Verursacher beherzigt, dass der Tabubruch so liebenswürdig wie möglich präsentiert wird. Mit Michael Bully Herbig, dem Menschen, dürfen wir uns deshalb nicht allzu lange aufhalten, uns interessiert vor allem der Schauspieler, Regisseur, Produzent und Autor.

36 Jahre, Sternzeichen Stier, Einzelkind, Trudering

Dass er heute 36 Jahre alt ist, Sternzeichen Stier, dass er als Einzelkind von einer allein erziehenden Mutter aufgezogen wurde, dass es nicht besonders viel Geld zu Hause gab, dass er heute in Trudering wohnt, einem Stadtteil im Osten von München - das alles könnte man fast unter den Tisch fallen lassen, denn man weiß ja, dass jede anständige Karriere in Armut, unter Missachtung des Talents und unter äußerst beschränkten Bedingungen zu starten hat.

Auch was er tat, bevor er in seine diversen Rollen schlüpfte, ist nicht so wichtig, denn vorher war er nur in der Schule. Keine Schauspielschule, wie sie sein Uraltfreund und Kollege Rick Kavanian genießen durfte, der in den Neunzigern immerhin ein Jahr am Lee Strasberg Theatre Institute studierte.

Keine Regisseurausbildung an der Hochschule für Film und Fernsehen, denn da wurde er mangels Begabung erst gar nicht aufgenommen. Nur eine dreijährige Fotografenausbildung und ein wenig Breakdance auf dem Münchner Marienplatz, das war's - offenbar eine umfassende Vorbereitung aufs Leben.

Mit dem Eintauchen in seine Biografie kommt man also nicht unbedingt weiter. Aber vielleicht ist ja was dran an dem Satz, dass das wahre Wesen eines Menschen immer etwas mit dem zu tun hat, was er macht. Bully Herbig macht Filme, in denen klassische, überaus männliche Helden auf einmal schwul sind und nicht mit tumber Gewalt, sondern auf sanfte Art Konflikte lösen.

Erfolg auf Kosten einer Minderheit?

Ist Bully Herbig damit ein perfider Schwindler, der auf Kosten einer Minderheit die Vorurteile einer Mehrheit verstärkt? Oder durchschauen seine Zuschauer das Spiel, das er mit ihnen und ihren möglichen Vorbehalten treibt, indem er seine schwulen Helden immer liebevoll, pfiffig und humorvoll zeichnet? Bully selbst ist, auf diese Frage angesprochen, mit sich im Reinen.

Er geht von einem stillschweigenden Einverständnis zwischen sich und seinem Publikum aus, er ist sicher, dass alle Welt seine Parodien als das erkennt, was sie sein sollen: pure Unterhaltung. Eine witzige und intelligente Brechung klassischer Heldengeschichten.

So etwas kann man nicht am Reißbrett entwerfen oder gar lernen, so etwas muss man fühlen und erspüren. Was heißt: Dieser junge Filmemacher hat eine hohe Sensibilität für den Zeitgeist, für den Geschmack und die Erregungskurven eines Massenpublikums, das überhaupt nicht beleidigt ist, wenn klassische Heiligtümer wie Winnetou oder Capt'n Kirk durch den Kakao gezogen werden. Das ist für Bully Herbig nicht immer ganz einfach, denn natürlich wird er häufig mit der Frage konfrontiert: "Welche Ihrer Rollen ist denn nun die autobiografischste?"

Keine, natürlich. Seine Rollen, seine Geschichten sind zwar Produkte eines einzelnen Geistes und einer Summe von Erfahrungen - und insofern autobiografisch. Aber Michael Bully Herbig, der diesen sympathischen und zerbrechlichen kleinen Helden Mr. Spuck in dem neuen Film spielt, ist nicht homosexuell.

Seine Hochzeit stand in keiner Klatschspalte

Er ist verheiratet, ganz bürgerlich, mit einer jungen Frau namens Daniela, und seine Trauung in kleiner Runde im August vergangenen Jahres hielt er so geheim, dass sie in keiner Klatschspalte Erwähnung fand. Auch das eine strategische Leistung.

Bully Herbigs erstaunlichste, gleichwohl am wenigsten auffällige Eigenschaft ist wohl die Gabe, über seine große Willensstärke hinwegzutäuschen. Wir sind mittlerweile im Tonstudio A des Gebäudes 7 auf dem Bavaria Filmgelände. Vorn eine riesige Leinwand, hier hinten, etwas erhöht, eine vielleicht zwanzig Meter breite Tischbrüstung voller Computer, Oszillografen und Schaltpulte.

Dahinter eine weitere Tischreihe, in deren Mitte Bully sitzt: sehr lässige, überhaupt nicht modische Jeans, die auf den Schuhen zur Ziehharmonika werden, denn er ist ja nicht riesig groß, schwarzes Hemd über der Hose, schwarze Lederjacke, ein silberner Ring am kleinen Finger und ein Dreitagebart, der bei ihm aber nicht verwegen wirkt. Er sagt sanft: "Wir müssen das Schütteln des Asthmasprays hören." Regler werden geschoben, Tasten betätigt, Laser über Festplatten gejagt, bis er zufrieden ist.

"Die Vögel müssen verstummen, wenn Gefahr droht, das Pferdegetrappel bitte später." Kurz darauf auch das erledigt. "Als ich das bei Heiko gesehen habe, haben wir doch extra noch mal das Zeitungsrascheln aufgenommen. Ist das überhaupt der final cut?" Verlegene Rechtfertigung des Angesprochenen, aber da keinerlei Schärfe im Ton war, noch nicht einmal Ungeduld, ist das Problem bald behoben.

Eine Pleite kann ihm das Genick brechen

Bully ist erst zufrieden, wenn er alles so hat, wie er es will. Da kann er unerbittlich sein. Muss er auch, bei neun Millionen Euro Produktionskosten, von denen er den größten Batzen selbst aufgebracht hat -da kann eine Pleite einem schon das Genick brechen. Auch wenn er, wie gesagt, mit Chuzpe, Unschuld und Hartnäckigkeit an so ein Projekt herangeht, heißt das noch lange nicht, dass er naiv ist. Also kümmert er sich um jedes Detail. Das passt zu seinem Wesen: Er kann bis an die Grenze des Spießigen gehen.

Zu Hause zum Beispiel, sagt er, putzt er sogar die Armatur am Waschbecken sauber, wenn er sich die Hände gewaschen hat. Oder er beseitigt umgehend die Krümel vom Brotbrett in der Küche, wenn er sich eine Stulle schmiert. Und seine Uhren stellt er stets zehn Minuten vor, damit er nur ja pünktlich ist.

Weshalb er es, bei aller Lässigkeit, durchaus registriert, dass die zwölf Angestellten seiner Produktionsfirma es noch nie geschafft haben, vor ihrem Herrn und Meister beim großen Montagsmeeting um neun Uhr anwesend zu sein. Alles im Leben ist eben Timing.

Neulich, noch vor seinem Auftritt bei Wetten, dass..?, saß er auf dem Prüfstand bei der Sat1-Sendung Genial daneben - und es war ein typischer Auftritt, denn man konnte für einen kurzen Augenblick hinter die Kulissen seiner Komik schauen. Er hatte harte Konkurrenz wie die schlagfertige Barbara Schöneberger, die Sirene Hella von Sinnen, den Fantasten Bernhard Hoëcker oder den sich cool gebenden Georg Uecker. Er hatte es schwer, in dieser Zirkusrunde überhaupt zu Wort zu kommen, denn er ist nun mal keiner, der die anderen zu übertönen versucht.

"Steh auf, wenn du Schalker bist" - das saß

Aber dann kam die Frage, warum die Schalker Fußballlegende Ernst Kuzorra 1990 kurz nach der Beerdigung noch einmal ausgebuddelt wurde, um dann ein zweites Mal beerdigt zu werden. Spielprinzip dieser Sendung ist, dass die Gladiatoren, die Spielleiter Hugo Egon Balder eingeladen hat, sich möglichst verrückte und witzige Antworten einfallen lassen, denn wer weiß schon, warum ein Fußballer vor vielen Jahren nach der Beerdigung seinen Frieden im Grab nicht finden durfte.

Alle riefen, brüllten und platzten mit Aberwitzigem heraus. Nur Bully schwieg. Und sagte dann, in einer winzigen Pause zwischen all dem Geplapper, leise: "Steh auf, wenn du Schalker bist!" Das saß. Keine großen Umstände machen. Gleich ins Schwarze treffen. Steh auf, wenn du Schalker bist.

Der Schalker Ernst Kuzorra wurde übrigens ein paar Stunden nach seiner feierlichen Beerdigung wieder ausgebuddelt, weil der damalige Präsident des Vereins nicht pünktlich kommen konnte. Und da der Präsident sich unbedingt selbst und persönlich von der Leiche verabschieden wollte und vor allem: weil er mit auf das Foto der Beerdigungsfeierlichkeiten wollte, ließ er den einstigen Wunderstürmer noch einmal ausgraben und nach dem Foto wieder in die frische Grube versenken.

Das hat jetzt nichts mit Bully zu tun, obwohl man ihm solch eine Idee durchaus zutrauen könnte. Er würde in dieser Szene natürlich Ernst Kuzorra spielen, den toten Spieler, und sein erster Satz wäre, selbstredend sehr schwul gesprochen: "Käpt'n, Käpt'n, ich hab was auf meinem Schirm."

Und der Herr würde antworten: "Dann mach's halt weg!"

© Süddeutsche Zeitung Magazin vom 16.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: