Deutscher Kolonial-Krieg:Erschossen und verhungert

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Die Untaten einstiger Kolonialisten, in Europa lange verdrängt, verfolgen ihre Nachfahren. Vor 100 Jahren begann der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika, an dessen Ende mehr als 100.000 Menschen tot waren.

Von Gaby Mayr

Schmerzliche Erinnerungsarbeit in den früheren Kolonien und akribische Archivforschungen bringen laufend neue Details ans Licht.

Als sich im vergangenen Jahr der Beginn des Krieges der deutschen Schutztruppe gegen die Herero und Nama in Südwestafrika zum 100. Mal jährte, forderten Herero-Sprecher unüberhörbar Entschuldigung und Entschädigung.

Tatsächlich bat die deutsche Entwicklungsministerin am Rande des Schlachtfeldes von 1904 um Verzeihung und sprach als erstes deutsches Regierungsmitglied von Völkermord.

In Großbritannien haben jüngst zwei Bücher über den Mau-Mau-Krieg ins Bewusstsein gerückt, dass die Briten in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts in ihrer Kolonie Kenia einen Polizeistaat errichtet hatten und der Unabhängikeitskampf über 20.000 Afrikaner (und 95 Europäer) das Leben kostete.

In Frankreich ist der Algerienkrieg eine offene Wunde, französische Verbrechen in anderen Kolonien finden allmählich den Weg an die Öffentlichkeit.

Und nun legt der Mechanismus der runden Jahrestage nahe, 2005 an die Kolonialverbrechen in Deutsch-Ostafrika zu erinnern.

Es war der 20. Juli 1905, als eine Frau und zwei Männer Baumwollpflanzen aus einem Feld im heutigen Südtansania rissen. Die scheinbar belanglose Tat glich einer Kriegserklärung an das Deutsche Reich, denn die Pflanzen wuchsen auf einer auf Befehl der Kolonialherrren angelegten Plantage, die Einheimische in Zwangsarbeit bestellen mussten.

Der Akt des Widerstands wurde zur Initialzündung des zweijährigen Maji-Maji-Krieges, an dessen Ende über 100.000 Menschen tot waren.

"Maji" ist das Swahili-Wort für "Wasser", das die Krieger tranken oder sich in einem Gefäß als Amulett um den Hals hängten, um gegen feindliche Gewehrkugeln geschützt zu sein.

Die meisten Einheimischen starben allerdings nicht durch Kugeln, sondern sie verhungerten, denn die Besatzer hatten mit einer Strategie der verbrannten Erde ihre Lebensgrundlagen zerstört. Auf Seiten der Okkupanten gab es etwa tausend Tote, die meisten waren angeheuerte afrikanische Kämpfer. Die Zahl der getöteten Europäer betrug 15.

Felicitas Becker und Jigal Beez haben jetzt ein Buch herausgegeben, in dem sie eine verlässliche Bestandsaufnahme der antikolonialen Maji-Maji-Erhebung und ihrer Folgen bis heute liefern. Sie schildern kenntnisreich die Vorgeschichte des Krieges, die ein Verständnis der Ereignisse erst ermöglicht.

Muslimische Küstenbewohner, die Matumbi in ihrer abgelegenen Bergheimat und die militärisch straff organisierte Ngoni wurden Untertanen des deutschen Kaisers, als Carl Peters ab 1884 mit Hilfe betrügerischer Verträge riesige Ländereien in Ostafrika zusammenschacherte und das Deutsche Reich das Territorium zur Kolonie erklärte.

Landraub, Zwangsarbeit und Steuern stießen auf Widerstand der Einheimischen, aber tief sitzende Interessengegensätze zwischen einzelnen Ethnien und das brutale Auftreten der Besatzer führten dazu, dass sich erst zwei Jahrzehnte nach Beginn der deutschen Okkupation zwanzig Völker dagegen erhoben.

Dass es zu einem gemeinsamen Aufstand kam, war der Vision eines Heilers zu verdanken, die sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Der Heiler, der sich Ahnen und Geistern im Jenseits verbunden wähnte, hatte paradiesische Zustände frei von Europäern gesehen und wusste auch von einer Medizin, die Unverwundbarkeit im Kampf gegen die Besatzer verleihen sollte.

Als die Krieger trotz Wunderwasser durch die Kugeln der Feinde starben, erklärten Maji-Heilkundige, die Gefallenen hätten moralische Vorschriften, etwa Verbote von Hexerei und Plünderungen, nicht beachtet. Eine hohe Moral sollte für eine geistige Erneuerung sorgen und den Widerstand gegen die Deutschen stärken.

Der entvölkerte Süden

Die spirituelle Verankerung der Erhebung war zugleich eine Kampfansage an die christlichen Missionare. Ursprünglich hatten viele Häuptlinge die weißen Prediger begrüßt, weil sie von ihnen Unterstützung gegen traditionelle Feinde, medizinische Betreuung und Geschenke erwarteten. Aber bald gewannen sie den Eindruck, dass die Geistlichen mit den Kolonialbeamten unter einer Decke steckten.

Das Maji-Maji-Bündnis über alte Feindschaften hinweg diente ein halbes Jahrhundert später der Unabhängigkeitsbewegung um Julius Nyerere als Vorbild und vielbeschworener Mythos im Kampf gegen die britischen Kolonialherren, die nach dem Ersten Weltkrieg die Deutschen als Besatzer abgelöst hatten.

Bis heute genießt Tansania, abgesehen von seiner politisch unruhigen Insel Sansibar, ein recht harmonisches Zusammenleben seiner Ethnien. Das ist keine Selbstverständlichkeit auf einem Kontinent, wo Kolonialmächte im 19. Jahrhundert Grenzen mit dem Lineal zogen und verfeindete Völker unter ein Dach zwangen. Wirtschaftlich geht es Tansania allerdings schlecht; besonders arm ist der im Maji-Maji-Krieg entvölkerte Süden, der seitdem keinen Anschluss gefunden hat.

FELICITAS BECKER, JIGAL BEEZ (Hrsg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907. Christoph Links Verlag, Berlin 2005. 235 S., 22,90 Euro.

© SZ vom 20.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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