Der neue Bond: "Ein Quantum Trost":Zart, aber schmerzlich

Lesezeit: 5 min

Wir haben unseren Agenten noch vor der offiziellen Premiere des neuen Bond-Films ins Kino geschickt. Dort hat er den spektakulärsten Bond aller Zeiten gesehen - und sich in das Bond-Girl verguckt.

Bernd Graff

Der großartige, unfassbar inspirierte zweite Band der großartigen, unfassbar inspirierten Comic-Reihe "Asterix" von Goscinny und Uderzo hieß "Asterix und Kleopatra". Auf dem Titel des Heftes gab es eine bemerkenswerte Auflistung der Materialien, die zu seiner Erstellung notwendig waren. Von 14 Litern Tusche ist da die Rede, auch von 42 Bleistiften. 27 Radiergummis rubbelten angeblich ihr Leben aus, dafür flößten 67 Liter Bier neues Leben ein.

Keine Action um der Action willen: Daniel Craig in "Ein Quantum Trost". (Foto: Foto: dpa)

Aus diesem disparaten Gemisch wurde eine der stimmigsten Comicgeschichten des letzten Jahrtausends. Genau so eine Liste existiert für den neuen James Bond.

Angeblich wurden 200.000 Platzpatronen verschossen, 1000 Liter Wasser getrunken, in zwölf Tagen inszenierte man 54 kontrollierte Explosionen. Und überhaupt wurde der mit 103 Minuten Laufzeit kürzeste Bond-Film aller Zeiten in sechs Ländern an mehr Drehorten gedreht denn je, und mit 200 Millionen Dollar Produktionskosten war er - fast schon erwartbar - der teuerste Film aller Bond-Franchise-Zeiten.

Nur um die Kladde der Superlative vollzumachen: Und sowieso ist Bond die langlebigste fortgeführte Marke in der Filmgeschichte. Das neue Abenteuer ist das 22. Viel PR-Gerassel also. Unter solcher Bürde und der Last der eigenen Geschichte können Filme dann aber auch mal absaufen.

Tatsächlich trägt "Ein Quantum Trost" ("Quantum of Solace") nicht nur den bescheuertsten eingedeutschten Titel aller Zeiten. So ist der Film zugleich die synthetischste Bond-Edition, weil sie - gerade in den Actionsequenzen - vor allem nur zu dokumentieren scheint, dass Computer wirklich ein rasendes Kaleidoskop an Bewegungsszenen produzieren können, das Menschenmaß und Fassungsvermögen übersteigt.

So sieht man Actionchoreographien, die von menschlichen Augen und Hirnen nicht mehr aufgenommen werden können. Wer wann wen unter Zuhilfenahme welcher Mittel schlägt, verfolgt, anzündet, besiegt, mordet, meuchelt, metzelt, ist im Gebrüll der Action-Bilder kaum mehr wahrzunehmen. Und es ist letztlich auch egal. Mehr als eine blutige Nase wird sich Bond schon nicht holen. Denn Bond stirbt nie.

Im Amok-Schweinsgalopp

Dieses Bilderdelirium geht mit der Eingangsequenz los, einer wüsten Autojagd, die ausgerechnet einen Voll-Stau auf enger, kurvenreicher Gebirgsstraße aufmischt und Bonds Aston Martin gefühlte zehn Sekunden nach Filmstart als wirtschaftlichen Totalschaden ausweist.

Das wiederholt sich während einer Bootsjagd, in der Schlauchbootarmadas auf den armen Bond und sein Girl losgelassen werden. Das zeigt sich in einer Luftschlacht und im Feuersturm eines explodierenden Hotels, aber auch auf einer Mann-gegen-Mann-Verfolgung hoch über den Dächern von Siena. Wäre nicht der erschütternd gutaussehende Bond immer so in Eile, man müsste von einem Amok-Schweinsgalopp durch alle Elemente sprechen.

Actionkino, das hat man etwa bei den diversen Bourne-Verfilmungen und dem letzten "Batman" gesehen, scheint heute weniger auf Action, Stunts und esoterische Kampfgebärden der Akteure zu setzen als vielmehr auf Überwältigung des Zuschauers durch Bilder. Die kann der Computer inzwischen so zusammenbrauen, dass Action nicht mehr erkennbare Aktion ist, sondern ein Gewirr aus Kraftlinien und Kaskaden von Bildern, die aus allen Dimensionen simultan auf ein Zentrum zulaufen: das Auge des Betrachters.

Mit dem Effekt, dass man als Zuschauer schon aus lauter Orientierungslosigkeit in ein Adrenalin-Stakkato versetzt wird. Die Bilder also zeigen nicht nur Action, sie sind die Action. So trudelt etwa der neue Bond samt Girl über Bolivien himmelsrichtungsfrei, horizontalvertikal aus einem Flugzeug, tatsächlich aber wurden die beiden nur von einer Bodyflight-Windmaschine in Bedford so geschickt in die Luft gepustet, dass es wie ein unkontrollierter vom Zuschauer begleiteter Sturz aus 3000 Meter Höhe aussieht.

Dennoch ist dieser Bond auch der geerdetste Bond, den es je gab. Trotz der Bilder. Denn diesmal haben wir es nicht mit Überschurken als Gegnern zu tun, die aus einem Comic herausgefallen zu sein scheinen, um ihre Allmachtsphantasien von ihrem Allmachtsambiente aus über die Welt zu streuen. Diesmal ist es also kein größenwahnsinniger Einzelschurke, sondern ein international verfilztes Konsortium aus Wirtschaft und Politik, dem man, zu eigenem Erschrecken, durchaus Realitätsnähe und Plausibilität attestieren muss.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Bond-Girl Camille anders ist als ihre Vorgängerinnen.

Der Konflikt, um den es geht, scheint durchaus möglich. Tatsächlich robbt sich die Bedrohung, gegen die der wehrhafte Bond antritt, immer näher an ihn heran, wird schließlich subkutan und unser Agent des Herzens (wirklich grandios ist Daniel Craig als Schauspieler, erst jetzt merkt man, dass auch ein Bond hohe Schauspielkunst verträgt!) würgt und ächzt unter der Tatsache, dass er für vogelfrei erklärt wurde.

Zugerichtet, blutig, overdressed: James (Daniel Craig) und sein Bond-Girl Camille (Olga Kurylenko) in der Wüste. (Foto: Foto: dpa)

Bond gerät, wie Jack Bauer in "24", zwischen die Fronten: Er wird zum Staatsfeind Ihrer Majestät. Ein gesuchter Mann des MI6. Dieser Bond versteckt sich nie hinter seinen Gadgets, Autos oder Garderoben. Nicht einmal hinter Theaterblut. Er ist von einer physischen Präsenz im Hier und Jetzt, die all das schicke Luxus-Geflirre, das es natürlich auch gibt, in den Hintergrund drängt.

Das gilt ebenso für das Bond-Girl Camille - unserer Zählung nach auch das erste, mit dem Bond nicht schläft. Was diese beiden so erlebbar, menschlich und plausibel macht, ist Geschichte: ihre Geschichte, seine Geschichte und die Geschichte des letzten Bond-Films "Casino Royale". Denn "Ein Quantum Trost" knüpft unmittelbar daran an.

Die Anfangsjagd im Stau hat also in "Casino" begonnen. Tatsächlich aber bringt Bond nicht nur Geschwindigkeit aus dem letzten Film mit, sondern auch einen schicksalhaften Verlust. (Ein Tipp: "Casino Royale" mit seinen Beziehungsgeflechten noch mal anschauen, bevor man "Quantum" sieht!)

Tiefe Trauer hat James durchlitten, die markigen Furchen seines Gesichts zeugen davon. Gegen die Dämonen dieses Verlustes rast, prügelt, trinkt Bond an - ein gehöriges Quantum Melancholie schwingt immer mit.

Ganz ähnlich das Bond-Girl. Sie hat Schlimmstes durchgemacht und befindet sich auf dem Privattrip ihrer Rache. Eigentlich kommt ihr Bond nur in die Quere - und eigentlich ist sie im halben Film nicht zu sehen. Das ist ein Manko. Denn die Geschichte der gebrochenen Figuren Bond und Camille hätte Potential für ein Charakterdrama sui generis gehabt - gerade als Paarlauf - und ganz abgesehen davon, dass Olga Kurylenko als Camille eine Augenweide in Jeans wie im kleinen Schwarzen ist.

Verlorene Ichs

Symbolisch für das ambivalente Verhältnis der beiden zueinander, aber auch zu der Welt, in die sie geworfen wurden (hier sogar im Wortsinn!), mag jene Szene stehen, in der Bond und Camille gemeinsam durch eine wüste Stein- und Ruinenlandschaft gehen: Zugerichtet, blutig, overdressed und abgerissen, gebrochen und stark, gemeinsam und allein zugleich: die Leere und verlorene Ichs. Das ist durchaus Stoff von Shakespeare'schem Zuschnitt.

Apropos Theater: Die Szene auf der Bregenzer Seebühne, auf der gerade "Tosca" gegeben wird, ist ein Paradebeispiel für narrative Montage: Während Bond in Bregenz gerade einen Verschwörungsring hat platzen lassen und nun in Lebensgefahr schwebt, inszeniert man das große Sterben auf der Seebühne zu Puccini-Klängen. Die Kulisse wird Kommentar - und Omen. Denn zunächst einmal bleibt offen, welches Sterben da gerade untermalt wird.

Ganz schwach hingegen ist die Figur des Dominic Greene, des Bösewichts, der wirkungslos bleibt, obwohl er von Mathieu Amalric gespielt wird. Das liegt nicht am grandiosen Schauspieler, das liegt an der Rolle: Der großartige Amalric hat schlichtweg nichts zu spielen - vielleicht der Tribut, den man zollen muss, wenn man vom Modell des singulären Überschurken auf eine vielköpfig agierende Gangsterclique umschwenkt. Gleichwohl kann Greene als Kopf und superschlauer Übeltäter dieser Gang nicht überzeugen. Dazu sieht man zu wenig von ihm.

Bond, aber damit verrät man wohl nichts, übersteht dann doch die Oper - und auch das letzte Inferno in der Wüste, wobei eine der eindringlichsten Szenen des Films Bond und Camille vor dem finalen Rettungsschuss zeigt. Hier sind Held und Heldin so klein und verletzlich, wie man den Superstar unter den Vollblutagenten noch nie erlebt hat. Kein Gefühlskino, aber ganz bestimmt ein Quantum Menschlichkeit, das der Figur guttut.

Der gebürtige Ulmer Marc Forster hat übrigens Regie geführt. Es ist sein erster "Bond", und von ihm stammt der unwiderstehliche Satz: "Der Schlüssel für Action ist, dass sie eine Geschichte erzählen muss, denn das Drehen von Action um der Action willen ist langweilig und nützt niemandem." Betrachtet man sein Werk, dann wird er als Geschichtenerzähler, gerade auch künftiger Bond-Stories, wohl eine große Zukunft haben. Von den Computern des Actionkinos sollte er allerdings ein wenig Abstand halten.

© sueddeutsche.de/bgr/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: