Das war die BRD (21):Das RAF-Fahndungsplakat

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WILLI WINKLER

(SZ vom 09.05.2001) - Es musste vorher heftig geregnet haben, das Wasser stand noch neben den geteilten Gehsteigen, die hier, eine Hamburger Krankheit, bloß zur Hälfte mit Platten belegt sind. Die Bäume troffen von der Nässe, und die Luft war mitten im Sommer durch die Feuchtigkeit eiskalt geworden. Dunkel war es außerdem, eine Studioszene eigentlich: außen, Nacht. Ich hatte gerade Stefan Austs "Baader-Meinhof-Komplex" gelesen und fürchtete im nassen Dunkel um mein Leben. Ein solch literarischer Schrecken ist mir sonst nur noch von Ed Sanders' Reportage über Charles Manson in Erinnerung, "The Family", der reine Horror. Eine Schreckminute, eine Wiederholung.

Das gab es sonst nur im Western, dass jemand so theatralisch gesucht wurde, tot oder lebendig und mit Belohnung. (Foto: Archiv)

Natürlich war das meiste von dem, was Aust in Polizeiberichtsprosa referierte, ein nicht weiter elaboriertes Räuber-und-Schande-Spiel: Autojagden, die Polizei immer dicht auf den Fersen, ungeschickte Banküberfälle, falsche Haare, Pistolen, die nicht funktionieren, und dann, als Zuwaage für den Erwachsenen: Staatsgewalt und staatliches Unrecht. Es waren in jener verregneten Sommernacht längst Geschichten aus alter Zeit, tolle Streiche der vorigen Generation, und vielleicht hat man in den Hamburger Partyrepubliken zwischen 1970 und 1972 ja wirklich öfter das Gedankenspiel exerziert, ob man sie aufnähme für eine Nacht, wenn sie draußen stünden: die Ulrike, die Gudrun und auch den finstren, leider gar nicht intellektuellen Baader.

Die anderen, die nicht mit der Ulrike getrunken und diskutiert hatten, also alle, kannten sie doch vom Bild, vom Fahndungsplakat. Das gab es sonst nur im Western, dass jemand so theatralisch gesucht wurde, tot oder lebendig und mit Belohnung, 1000 oder später sogar 100000 Mark für "sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen".

In jenen fernen siebziger Jahren, von denen Stefan Aust in seiner Chronik erzählt, kam der Steckbrief wieder in Mode, von dem jemand grimmig herunterschaute, abgeschossen oder irgendwie zur Seite gedreht, wie's früher strenge Vorschrift, damit ein Ohr bei der Identifizierung hülfe, keinerlei Ähnlichkeit mit lebenden Menschen. Es waren ja auch die Terroristen, die so gesucht wurden, zum Fürchten sollten sie sein, diese Verbrechervisagen, und wie im Wilden Westen drohte Schusswaffengebrauch.

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