Am Tag vor Palmsonntag gab es eine Opernpremiere in Stuttgart. Christoph Marthaler inszenierte dort Offenbach, "Hoffmanns Erzählungen". Das hatte er vor zwei Jahren schon einmal gemacht, in Madrid, und tatsächlich wanderte von dort die Inszenierung ins Schwäbische. Es ist ein Marthaler-Abend in Reinkultur, dabei eine in der Struktur ganz normale Opernaufführung. Marthaler und seine hier wieder einmal umwerfende Ausstatterin Anna Viebrock stellen, neben vielen anderen Seltsamkeiten, die "Exposition internationale du Surréalisme" nach, die 1938 in Paris stattfand. Und so bevölkern die Bühne Gestalten, die ausschauen wie André Breton, Tanguy oder Dalí, die sich pudelwohl fühlen in dieser Oper, die, ausgehend von den Geschichten E.T.A. Hoffmanns, ja selbst viel Surreales hat, zu einer Zeit, da es diesen Begriff in der Kunst noch gar nicht gab.
Das hat etwas Visionäres, vom Werk her schon, und bekommt es dann noch stärker bei Marthaler. Der lässt die Chefin der hier auf aberwitzige und wunderschöne Weise agierenden Tanzkompanie auf Spanisch einen Text des Portugiesen Fernando Pessoa vortragen, den man in den deutschen Übertiteln mitlesen kann. Eine Abrechnung: "Reißt mehr Fenster auf, als es gibt auf der Welt! [. . .]Schleicht euch, ihr Radikalisten des Wenigen, ihr Unbedarften des Fortschritts, mit eurem Unwissen als Säule der Kühnheit und eurem Unvermögen als Stützpfeiler der Neo-Theorien!"
Was Marthaler mit Offenbach und Pessoa fordert, er, der freundliche Schweizer, ist eine echte Avantgarde des Geistes, der Kunst, des Denkens. Bemerkenswert in seinem Furor bei einem, der schon seit Jahrzehnten im Theatergeschäft ist. Nun ging die Kunde, der ungeahnt Unabdingbare werde im Herbst an die Kammerspiele zurückkehren, wo er 2002 Jelineks "In den Alpen" inszeniert hatte. Allein, der Traum der Unabdingbarkeit zerplatzte offenbar aus terminlichen Gründen. Es wäre so schön gewesen.