Das Streiflicht:"O nein, o nein! Sein Vaterland muß größer sein!"

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Dürer leicht gekürzt, die Pastorale mit Blockflöten - wie Bundespräsident Köhler einmal einen Ausflug in die gepeinigte Hochkultur wagte.

Auf das hin, dass er gelernter Volkswirt ist und lange beim Sparkassen- und Giroverband gearbeitet hat, dreht unser Bundespräsident in letzter Zeit kulturell mächtig auf. "Ein ganzer Tell, ein ganzer Don Carlos, das ist doch was", rief Horst Köhler bei einer auf Schiller gemünzten Sonntagsmatinee im Berliner Ensemble aus, und wer das in sich nachklingen lässt, dem ist nach einer Weile, als stiege der alte Ernst Moritz Arndt aus den Nebeln und sänge, das ganze Deutschland, das sei doch was. Eine nicht ganz faire Assoziation, gewiss, denn Arndts manchmal seltsame Fragen -- "Ist's, wo des Marsen Rind sich streckt?" -- galten dem Wesen und Ort des deutschen Vaterlandes, wohingegen sich Köhler um die Integrität der Schillerschen Texte sorgt, eine Sorge, die er mit vielen teilt und die gelegentlich zu schönen, das Publikum sehr erheiternden Ausfällen gegen die Kaste der Regisseure führt.

"Ist's, wo des Marsen Rind sich streckt?" (Foto: Foto: dpa)

Wo aber streckt sich des Marsen Rind, beziehungsweise wo ist der Hund begraben? In erster Linie natürlich bei einer Sorte Regietheater, das über den eigenen, oft mehr als dürftigen Zutaten das Hauptgericht vergisst -- und den, der es kochte. In zweiter Linie freilich auch bei Kritikern wie Köhler, die von der Rolle des Theaters eine Ansicht haben, matt wie Limonade. Die Kenntnis der großen Stücke werde immer geringer, räsonierte der Präsident, und dabei seien doch gerade die jungen Leute begierig, diese Stücke kennen zu lernen. Wenn nicht alles täuscht, sind das die jungen Leute, die man sonst gern Pappenheimer nennt und zu denen Schiller, wäre er denn je bei einer Matinee im Berliner Ensemble aufgetreten, gesagt hätte: "Spiejelberg, ick kenne dir." Und er hätte damit gemeint, dass es erstens heutzutage doch möglich sein müsse, die Stücke kennen zu lernen, nach denen einem der Sinn stehe, und sei es auch nur aus Büchern; dass es zweitens demzufolge keine solche Unkenntnis geben müsste; dass schließlich, drittens, das Theater weder Schule noch Lektüre ersetzen könne und wolle.

Es ist bei erdnahen Debatten um das Regietheater immer ein großer Brüller, wenn daran erinnert wird, dass man einen Dürer oder Mozart doch auch nicht einfach "kürzen" könne. Köhler ließ sich diesen Effekt nicht entgehen. Er verglich den Apfel Schiller mit der Birne Beethoven, wobei er sich auf dessen sechste Symphonie, die "Pastorale", kaprizierte und ausmalte, was wohl geschähe, wenn man deren zweiten Satz als Blockflötenquintett spielte, den Rest aber gar nicht oder rückwärts. Sagen wir es mal so: Bei manchen symphonischen Konzerten wäre es kein Schaden, wenn die Sechste in toto auf Blockflöten wiedergegeben würde. Besonders die Interpretation des vierten Satzes, in dem Gewitter und Sturm geschildert werden, könnte in so einer Besetzung eine völlig neue Sicht auf dieses Schlüsselwerk eröffnen.

© SZ vom 19.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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