Das Plädoyer für Punk:Dissidenz kann man nicht kaufen

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Einen Eimer auf den Kopf und loshüpfen! Wir brauchen wieder mehr Punk, denn Punk war grenzenlose Freude. Das endgültige Plädoyer von Jugendverschwender Jürgen Teipel

Langweiliges modernes Leben: Ständig geistern Trends herum, ein Hype jagt den nächsten.

Als Deutschpunker hatte man grundsätzlich keine Ahnung. Man wollte auch gar keine haben. Wozu auch? (Foto: Foto: ap)

Das mag kurzfristig aufregend sein, insgesamt ist es ziemlich bedeutungslos.

Aber man hat ja ein breites Spektrum an Haltungen zur Verfügung, um auch noch den letzten Mist so lange zu drehen und zu wenden, bis man ihn halbwegs interessant findet. Dabei sitzt man in einer fiesen Falle. Diese Falle gäbe es nicht, hätte es Punk nicht gegeben. Denn als es mit Punk als ernst zu nehmender Bewegung zu Ende ging, bemerkten einige der Hauptdarsteller, wie gut sich ihre Grundhaltung der flexiblen Bedeutung - heute Aussagen treffen und morgen wieder verwerfen - verkaufen ließ.

An Zeitgeistmagazine und Werbeagenturen. Und schließlich an das Privatfernsehen.

Dadurch hat sich manches im vorher ziemlich tristen Deutschland zum Guten gewendet. Es gab spielerische Ansätze und damit endlich auch Humor in Film, Funk und Fernsehen. Aber wo das alles herkommt - Harald Schmidt, South Park, Studio Braun - danach fragt heute kaum jemand. Was Popkultur angeht, gibt es in Deutschland kein Traditionsbewusstsein. Das schwächt auch das Urteilsvermögen beim Betrachten der übrigen Kultur.

Als ich 1998 anfing, mein Deutschpunk-Sittengemälde "Verschwende Deine Jugend" zu schreiben, konnte ich gar nicht glauben, dass das noch niemand gemacht hatte.

Drei Jahre lang lebte ich in ständiger Angst, dass mir doch jemand zuvor kommen könnte. Punk war hier, im Gegensatz zu England, so sehr aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden, dass das Projekt erstmal von 15 Verlagen abgelehnt wurde.

Erst als das Buch ein Bestseller wurde, kapierte man langsam, was für ein riesiges Feld da die ganze Zeit brach gelegen hatte. Was dann leider auch mit zu der allgemeinen Retro-Pest führte, den grausigen Siebziger- und Achtziger-Jahre-Shows. Seltsam, dass der Blick zurück auf eine Zeit fällt, in der einzig und allein nach vorne geblickt wurde.

Damals blickte man nicht euphorisch in die Zukunft, weil man schlauer war als jetzt. Im Gegenteil: Die Jugend ist heute viel reflektierter und gebildeter. Sie ist ans Internet angeschlossen und verfügt auch sonst über alle möglichen Informationsquellen.

Trotzdem gibt es einen gravierenden Mangel: Die Jugend von heute wäre so gern eine Jugendbewegung. Aber mit Bildung und genug Geld für Klamotten allein lässt sich das schwer realisieren.

Dissidenz kann man nicht kaufen.

Als Deutschpunker hatte man grundsätzlich keine Ahnung. Man wollte auch gar keine haben. Wozu auch? Um einen herum waren Nazis, die einem etwas von "Gaskammer" hinterher riefen, nur weil man anders aussah, und Wirtschaftswunder-Väter, so doof und fortschrittsgläubig, dass körperliche Auseinandersetzungen oft unvermeidbar waren.

Und das Schlimmste: Die 68er, der Einfachheit halber auch Hippies genannt, die alles für sich besetzen wollten, was mit Protest oder Anderssein zu tun hatte.

Tommi Stumpff, Sänger des Kriminalitätsförderungsclubs, hatte damals eine Idee für einen Super-8-Film, der "Die Grüne Gefahr" heißen sollte. Mit Joschka Fischer-Typen, die leibstandarten-mäßig durch West-Berlin walzen sollten.

Wobei er auf Berlin wohl nur deshalb kam, weil von dort eh alles Hassenswerte kam. Vor allem dieser blasierte, von daher wieder hippie-mäßige Anspruch, noch mal ganz anders zu sein als alle anderen: das ultimative Ergebnis städtischer Entfremdung.

Aber das war natürlich nur Koketterie. Andrew Unruh von den Einstürzenden Neubauten ist privat einfach ein Sonnenschein. Und sogar geschundene Seelen wie Blixa Bargeld fühlten sich durch dieses punkige Entgegenstemmen gegen alles Alte, dieses "Hier ist ein Akkord, da noch einer, nun gründe eine Band", vor allem energetisch aufgeladen und befreit von dem Ballast, den einem Geschichte und Umwelt um den Hals hängen wollten. Es ging um Selbstermächtigung, Selbstbestimmung!

Dass einige dieser Leute bald anfingen, die eigene Bühnenidentität für ihre wahre Identität zu halten, war eher ein Missverständnis. Denn im Grunde hatten sogar die düstersten Ansätze etwas spielerisches. Auch in Berlin. Gerade in Berlin, an dessen Punk-Underground nun eine sorgfältig edierte und nobel gestaltete Box mit CD, DVD und Buch erinnert ("Berlin Super 80 - Music & Film Underground West-Berlin 1978 - 1984", bei "Monitorpop" erschienen).

In Düsseldorf (in München erst recht) konnte man genau so lange künstlerisch konsequent sein, bis man von den Eltern rausgeschmissen wurde. In Berlin konnte man sich eine Wohnung sogar dann leisten, wenn man sich 24 Stunden am Tag ausschließlich mit sich selbst beschäftigte. Blixa Bargeld sagte einmal, dass er genauso gut hätte Maler oder Filmemacher werden können - das sei alles dasselbe gewesen.

Weshalb es auch müßig ist, in der Rückschau eine homogene Szene beschwören zu wollen. Diese Leute konnten ja nichts dafür, dass vorher so wenig möglich war und also jeder halbwegs interessante Ansatz wie eine Offenbarung wirkte. Ob man nun einen Laden mit selbst kopierten Kassetten aufmachte, auf denen oft mehr Rauschen zu hören war als Musik, ob man sich eine gebrauchte Super-8-Kamera vom Trödel holte und plötzlich Ein-Mann-Filmteam war und im fertigen Film all die vermurksten Stellen drin ließ - alles Kunst!

Dass diese genialisch dilettantische Kunst nun 25 Jahre später in einer Klassikerausgabe erscheint, kommt manchen Leuten wahrscheinlich genauso komisch vor wie die Punk-Rückschau in der Düsseldorfer Kunsthalle. Aber es besteht eben ein enormer Nachholbedarf. Und das Gute ist: Auf keinem anderen Feld lassen sich so leicht noch Grundsatzwerke der Sekundärliteratur schaffen.

Wobei es natürlich blöd ist, wenn tolle Sachen unter den Tisch fallen müssen, wie bei der "Berlin Super 80"-Box der Super-8-Klassiker "Das Leben des Sid Vicious" (mit Sid als Kleinkind in Hakenkreuz-Pampers). Manche Macher haben halt sehr strikte Vorstellungen davon, was mit ihrem Kram passieren darf und was nicht.

Und als Zusammensteller wird man irgendwann so paranoid, dass man nicht mehr zwischen verharmlosendem und lustigem (und schon deshalb nötigem) Hakenkreuz-Einsatz unterscheiden kann.

Und so freut man sich dann um so mehr über einen Film wie "Hüpfen 82" von Rolf S. Wolkenstein und Horst Markgraf. Der einzige Darsteller eines geplanten Entfremdungsfilms kommt und kommt nicht zum Dreh. Also, was macht man? Man dreht, was einem gerade durch den Kopf schießt.

Man filmt sich gegenseitig, wie man mit voller Kaffeekanne oder Eimer überm Kopf durch die Wohnung hüpft. Grenzenlose Freude. Sieg der Spontaneität. Kein Wunder, dass der Film immer noch auf Festivals rund um die Welt läuft.

Ich finde die Vorstellung gar nicht so abwegig, dass demnächst sogar mal ein richtiger Ruck durchs Land gehen könnte. Was Techno betrifft, sind wir eh schon Weltmarktführer. Form und Inhalt hauen einen zwar nicht vom Hocker, aber immerhin funktioniert das Ganze weitgehend über Do-it-yourself, Ein-Mann-ein-Laptop-Ich-AGs und hin und wieder sogar über Spontaneität. Was den Film betrifft, so gibt es zwar keine wirkliche Mini-DV-Szene oder etwas in diese Richtung. Dafür aber eine auffallende Häufung von "No Budget"-Ansätzen. Und das nicht nur bei unbekannten Leuten. Was wir brauchen, ist mehr von diesem: "Scheiß auf Förderung. Ich drehe jetzt einfach los. Genau wie damals."

Das ist Punk.

Der Schriftsteller und Filmemacher Jürgen Teipel schrieb mit "Verschwende deine Jugend" (2001) eine Oral History der deutschen Punk-Bewegung und drehte jüngst den No-Budget-Dokumentarfilm "Verschwende deine Jugend.doc".

© SZ v. 09./10.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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