Das New Yorker Halbjahresheft: "Esopus":Ein Mann und sein Magazin

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Tod Lippy macht in New York das Magazin "Esopus" - ohne jede Hilfe, ganz allein. Ein Gegenentwurf zur Unterhaltungsindustrie - und immens erfolgreich.

Christine Brinck

Groß wie ein Din-A4-Schulheft, dick wie ein Buch kommt in jedem Herbst und jedem Frühling in New York ein Magazin heraus, das den seltsamen Namen Esopus trägt. Nein, da schreibt niemand den Namen des Fabeldichters Aesop falsch, denn Esopus ist der Name eines Baches oben im Staate New York. Das Magazin dieses Namens ist "a thing of lavish, eccentric beauty", rhapsodierte die New York Times, also verschwenderisch, exzentrisch, schön.

Es ist kaum vorstellbar, dass eine Zeitschrift, die 1500 Exemplare in einem Halbjahr verkauft, Einfluss hat. Doch Esopus, das Magazin des Kunstgeschichtlers Tod Lippy aus New York, ist ein Forum für Künstler geworden. Beispielsweise entfaltet sich William Christenberrys "Ghost Form", ein weißes Papphäuschen, auf einer Doppelseite. Oder es liegen faksimilierte Visitenkarten bei. (Foto: Alle Fotos: Tod Lippy)

Bei der ersten Begegnung will der Leser Esopus weniger durchblättern als anstarren und streicheln. So erstaunt ist er von der unglaublichen Qualität des Papiers, der Farben, des Layouts, der Kunst, der Fotos, dass er es eher für ein Kunstwerk denn für ein Magazin hält.

Die unterschiedlichen Papiersorten, die vielen kostbaren Faksimiles, die versteckten Poster, die stets beigelegte CD, die visuellen Wunder, dazu keinerlei Anzeigen, die den Blick verstellen auf ein stringentes Konzept - hinter so viel Klasse kann nur sehr viel Geld stehen, ein Team von Kunstarbeitern alimentiert von einem großzügigen Verleger.

Falsch: Das ganze buchdicke Heft wird von nur einem Mann gemacht. Das Impressum führt ihn als Tod Lippy, Editor. Er hat sich das wunderschöne Ding ausgedacht und seit 2003 bereits fünf Nummern mit einem Umfang von 106 bis 118 Seiten auf den Markt gebracht. Man kann es in besseren Buchläden Amerikas für zehn Dollar erwerben.

Während bei uns die Unkreativ-Teams der großen Verlage am hundertsten Clone von Vanity Fair oder dem New Yorker basteln und für so trostlose Produkte wie Cicero und Park Avenue Millionen verballern, hockt Tod - "mit einem "d", wie der deutsche Tod" - Lippy in Downtown New York auf etwa 20 Quadratmetern mit drei Computern und vielen Regalen und macht sein Magazin ganz allein. Wenn man ihn besucht, kann man ihn dabei antreffen, wie er gerade die Abonnentenliste bearbeitet.

Lippy macht genau das Magazin, das er machen möchte mit genau dem Papier, das er beispielsweise für die Reproduktion von Disney Zeichnungen haben will, auch wenn das bedeutet, dass er dafür zu den Produzenten nach Colorado fahren muss, damit sie ihm das sündhaft teure Papier umsonst geben. Am Ende bekommen sie dafür 100 Exemplare Esopus geliefert, die sie Kunden zeigen können.

Lippy will aufklappbare Seiten in der Mitte, Pop-up Bilder oder fotocromatische Tinte - dann schafft er es auch, sie zu bekommen, koste es was es wolle. In Esopus Nr. 2 (Frühling 2004) kann man im so genannten "Artist's Project" mitten im Heft eine Seite öffnen, und ein weißes Haus faltet sich auf. Es ist William Christenberrys "Ghost Form". So etwas herzustellen ist kaufmännischer Irrsinn. Das erfuhr auch Lippy, doch dann hatte sein kanadischer Drucker die Idee, ihn mit den Hutteriten zusammenzubringen, die handwerklich geschickt solche Sachen auch billiger fertigen können. Lippy hat oft solches Glück, findet immer Menschen, die ihm helfen, kostbare Ideen zu realisieren.

Heimliche Förderer, superreiche Fans oder eine millionenschwere Patentante hat er nicht. Er hat seine handwerkliche Kunst, seine Ideen und seine wilde Entschlossenheit, nicht Teil der Unterhaltungskultur zu sein, die sich noch stets als Promotionsmaschine entpuppt hat. Und wie kann er dann so schöne Hefte produzieren? Die 1500 Abonnenten können ihm kaum ein warmes Süppchen einbringen. Lippy hat eine Stiftung gegründet - die Esopus Foundation, nicht profitorientiert und darum offen für Spenden in jeder Größenordnung. Jetzt kommt er gut zurecht, reich will er nicht werden.

Nicht nur ist das, was Lippy den Lesern bietet, viel kostbarer als die zehn Dollar, die sie im Laden bezahlen. Man weiß vor lauter Staunen nie, wo anfangen, klar ist nur, das nichts diesem Magazin gleicht. In der Ausgabe Nr. 5 (Herbst 2005) kann man inklusive faksimilierter Originalzeichnungen die Genese nur eines Frames aus Disneys Klassiker Fantasia nachlesen und bestaunen. In der Serie "Found Object" (Fundsachen) sind diesmal Epitaphe aus einem alten Album reproduziert, in früheren Ausgaben konnte man das faksimilierte Gag-Buch des Komikers Rudi Vallee oder ein Dutzend Absagen auf eine Jobbewerbung aus den 30er Jahren betrachten. Adley Guirgis, Bühnenautor, setzt - diesmal auf einer Papiertüte beigelegt - die "Sissy Letters", seine Serie von Monologen fort. Und zum ersten Mal überhaupt kann man auf 18 Seiten die seltsam verstörende, künstlerische Selbsttherapie eines Gewaltopfers betrachten. Mark Hogencamp wurde im April 2000 lebensgefährlich zusammengeschlagen. Er leidet immer noch unter den Folgeschäden wie motorischen Einschränkungen und Sprachstörungen. Mit Spielzeugsoldaten und selbst gebauten Modellen hat er in seinem Hintergarten Marwencol, einen fiktiven belgischen Ort im zweiten Weltkrieg, entstehen lassen. Abgerundet wird die Nr. 5 mit drei weiteren Kunst- und Foto-Projekten, einem Theaterstück und einer CD, die diesmal den Titel "Audio-Visuals" trägt. Zwölf Künstler wurden eingeladen, ihre Lieblings-Kunstwerke, zu Songs zu machen.

Als Lippy begann, mit Esopus ein Forum gegenwärtiger kultureller Strömungen für Künstler, Filmemacher, Fotografen, Architekten, Musiker, Schriftsteller bereit zu stellen, kam er nicht als Dilettant daher. Er hat in Texas studiert, am berühmten Williams College seinen Master in Kunstgeschichte und an der New York University auch noch seinen Master in Film gemacht. Er hat Kurzfilme gedreht, war jahrelang Redakteur bei Print, "Amerikas Graphic Design Magazine", und hat mindestens schon drei andere, stets hoch gelobte, aber nie sehr langlebige Magazine erfunden.

Wie er dies alles allein schafft? Tod Lippy, 42, sagt: "Ich bin wohl ein Kontrollfreak, ich muss stets alles selbst machen." Für die Beiträger liege darin etwas sehr Beruhigendes, glaubt er. "Ich bin der Einzige, mit dem sie verhandeln. Und darum denken sie auch, dass hier ihr Produkt wirklich als das erscheint, was sie intendierten." Innovativ ist ja auch, dass alle Mitarbeiter, ob nun Jenny Holzer oder Edward Ruscha, Mr. oder Ms. Nobody, das gleiche Honorar bekommen - dreihundert Dollar.

Lippy, der weit gestreute Interessen hat und an alle Themen immer eine neue, interessante Tangente anlegt, ist begeistert von der Idee der Phänomenologie. Sein Heft kommt diesem Konzept verdammt nah. Bliebe nur, den nicht gerade verkaufsfreundlichen Namen einmal zu hinterfragen. "Sehen sie", sagt er und weist auf einen alten Stich im Eingang seines Studios, "das ist Esopus, ein kleines Flüsschen oben in New York, rein und sauber fließt es in ein Reservoir."

Tod Lippys Esopus fließt in Vorbereitung auf das nächste Heft ebenso klar und rein.

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