Das Lieblingsbuch der Mächtigen:Die smarten Guerilleros

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Schmökerbrüder: Barack Obama, John McCain und Fidel Castro haben das gleiche Lieblingsbuch. Hemingways "Wem die Stunde schlägt" ist die Inspiration für die Mächtigen.

Franziska Seng

Literatur und Leben sind Sphären, die für den heutigen Bürger, der nicht gerade Dichter, Literaturwissenschaftler oder -kritiker ist, scheinbar säuberlich getrennt voneinander liegen: hier die herkömmlichen Verrichtungen des Alltags. Auf der ferneren Seite Werthers Tod, Oskars Trommelschlag, Effis verlorene Liebesmüh.

"How-to-be-a-guerilla": Fidel Castro suchte und fand in Hemingways "Wem die Stunde schlägt" Inspiration für das Guerillaleben. (Foto: Foto: afp)

Bei der Vermischung beider Sphären ist Vorsicht geboten. Radikale Romantiker sind in der Öffentlichkeit nicht gern gesehen, ebenso wie handgreifliche Stürmer und Dränger. Es ist zu befürchten, dass man, wenn man als persönliches Vorbild "Penthesilea" oder "Frodo" angibt, im Assessment-Center gleich durchgefallen ist.

Nur noch selten öffnet sich der Literatur eine Gasse ins Leben, nämlich dann, wenn prominente Zeitgenossen bekennen, in ihrem Leben von bestimmten Büchern beeinflusst worden zu sein. Das macht diese Werke plötzlich sehr interessant und sorgt bei Büchermenschen für Jubel.

Vor allem vor dem Hintergrund der unpoetischen amerikanischen Wahlkampfreden überrascht es nun, dass drei Politiker, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, ebenfalls literarisch vorbelastet sind, und zwar alle von dem gleichen Buch.

Im Juni nannte Barack Obama im Interview mit dem Rolling Stone den Roman "Wem die Stunde schlägt" von Ernest Hemingway als eines der Bücher, die ihn am meisten inspiriert haben. Auch für seinen Konkurrenten John McCain spielt dieser Roman eine zentrale Rolle, vor allem Hemingways Titelheld hat es ihm angetan: "Robert Jordan war so, wie ich immer sein wollte", bekannte er 2002 in einem Radiointerview.

Inspiration für das Guerillaleben

Als wäre dies nicht genug, ist "Wem die Stunde schlägt" auch das Lieblingsbuch von Fidel Castro. In seiner 2007 veröffentlichten Autobiographie "My Life" erzählt er, wie ihm der Roman, das während des Spanischen Bürgerkriegs spielt, beim Revolutionieren geholfen hat: "Als ich im Gebirge war, erinnerte ich mich oft an das Buch. Über die Jahre muss ich es mindestens drei Mal gelesen haben, den Film kannte ich auch", so Castro. "Hemingway beschreibt die Situationen sehr realistisch. Später, im wahren Guerillaleben, kamen wir immer wieder auf das Buch zurück, um Inspiration zu finden."

Was ist das Besondere an diesem Werk, das den modernen Demokraten, den Kriegsveteranen und den Ideologen, der vor Gewalt nicht zurückschreckt, gleichermaßen fasziniert? Mit seinen knapp 500 Seiten und der archaisierenden Sprache, die Hemingway verwendet, um einen altspanischen Dialekt zu imitieren, ist es auf jeden Fall keine leichte, schnell verdauliche Bettlektüre.

Es handelt vom US-Amerikaner und Sprengstoffexperten Robert Jordan, der sich in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einer Guerillagruppe anschließt, um im Spanischen Bürgerkrieg gegen Francos Faschisten zu kämpfen.

Hinter den Linien der Feinde soll er eine Brücke sprengen und ahnt, dass er diesen Einsatz mit seinem Leben bezahlen wird. Pflichtbewusst nimmt er sich der Sache trotzdem an, pragmatisch, herb und reflektiert. Aber auch mit zärtlichen Gefühlen kann Hemingways Held aufwarten, Jordan ist der Guerillakämpfer, dem die Frauen vertrauen. Er beginnt eine Romanze mit Maria, einer jungen Frau, die seit der Ermordung ihrer Eltern auf der Flucht ist.

Hemingway verherrlicht den Krieg nicht, schildert ihn als mechanisches Abschlachten unschuldiger Menschen. Robert Jordan ist eine Figur, der am Gemeinwohl aller gelegen ist. Der Einzelne kann sich der Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber nicht entziehen: "Kein Mensch ist eine Insel, in sich selbst vollständig; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinentes, ein Teil des Festlands (...) und verlange nie zu wissen, wem die Totenglocke schlägt; sie schlägt Dir", so das Motto, das dem Buch vorangestellt ist.

Buch der Mächtigen

Vielleicht liegt in dieser Romanprämisse der Grund, warum Hemingways Klassiker Staatsmänner aller Lager vereint: Der scharf formulierte Aufruf zu Engagement und Eigeninitiative liest sich wie eine Vorlage für die politische Rhetorik, die später, in abgemilderter Form, die ganze Gesellschaft mobilisieren sollte; allen voran John. F. Kennedys berühmtes Diktum: "Fragt nicht, was euer Land für euch tun wird - fragt, was ihr für euer Land tun könnt."

Aus der Tatsache, dass drei so unterschiedliche Politiker das gleiche Buch favorisieren, das so zum "Buch der Mächtigen" wird, sollte man jedoch nicht vorschnell auf ein berufstypisches geistiges Strickmuster von Politikern schließen. "Wem die Stunde schlägt" spricht Menschen an, die sich von ähnlichen Idealen getrieben fühlen wie der Held des Buchs. Zu welch drastischen Mitteln sie mitunter greifen, um diese Ideale zu verwirklichen, steht in anderen Büchern.

Weitere direkte literarische Einflüsse Hemingways auf Castros, McCains und Obamas Leben sind zwar schwer zu belegen, aber nicht auszuschließen. So ist vielleicht Castros Durchhaltewille, sein stures Einzelkämpfertum, selbst wenn enge Gefährten von der Überzeugung abfallen, auf Robert Jordan und seine Prinzipientreue zurückzuführen.

Möglicherweise ebenso wie McCains Suche nach Inspiration bei tapferen, braven Kleinstädterinnen, und der Wille, bis zum vorletzten Atemzug an ihnen festzuhalten.

Radikale Büchermenschen werden in der kompromisslosen literarischen Einfühlung der Mächtigen natürlich nur Gutes sehen. Doch kann eine allzu intensive Lektüre auch Gefahren mit sich bringen, wie das Beispiel Barack Obamas zeigt: Sein Auftreten erscheint mittlerweile so perfekt, so nobel und gut, dass er selbst wie eine literarische Figur wirkt, eine schöne Seele, die sich aus dem Leben entfernt hat, um aus der Welt des Scheins auf uns herabzustrahlen.

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