Das ist schön:Selber machen

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Der Musikdenker Tim Renner analysiert die Pop-Branche

Von Michael Zirnstein

Die Martinsgans ist geliefert worden, im Kühlschrank ist aber kein Platz. Tim Renner löst das Familienproblem noch kurz vor dem Auftritt am Telefon - da ahnen die Anwesenden im Feierwerk schon, dass das ein unterhaltsamer Abend wird. Sie sind nicht für ein Konzert gekommen, sondern für den Vortrag "Music Business 4.0", fast alle Stühle in der Kranhalle sind besetzt. Renner ist ein Hit. Zwei Stunden lang braust er von der 35 000 Jahre alten Knochenflöte aus der Schwäbischen Alp (Music Business 1.0), über Notenblattverlage, Grammophon, Mp3 und Streaming bis zur Artificial Creativity, das ist die von Google Magenta ("ihre gefährlichste Abteilung") vorangetriebene künstliche Kunst, die keine Künstler mehr brauchen soll. Der Professor der Pop-Akademie Mannheim, der schon Alice Merton oder den Manager von Bilderbuch im Fach Branchen-Kunde prüfte, und einstige Talentscout des Labels Polydor rechnete mit den Platten-Großverlagen ebenso ab wie mit dem Urheberrechte-Verein Gema, gab dabei Musik-Tipps (Jon Hopkins) und Musikern Tipps. Auch wenn über seine Ansichten durchaus diskutiert wurde, hätte man am liebsten gleich eine Band gegründet, einen Vertrag mit seinem Label-Service Motormusic abgeschlossen ("Sagt ,Du' zu mir, wir sind in der Musikindustrie ...") und mit ihm, dem Ex-Kulturstaatssekretär, die SPD zur Bundeskanzlerschaft geführt ("... außerdem bin ich einer der letzten lebenden Sozialdemokraten"). All das machte Mut im digitalen Pop-Zeitalter, sogar in diesem "ewig gestrigen" Digital-Enwicklungsland, in dem vor allem das überholte, an CDs klebende Charts-System konventionelle Schlagersänger wie Helene Fischer an die Spitze bringe. Jedoch: "Es sieht nicht schlechter aus für Musiker, es sieht nur anders aus." Man solle sich nur nicht von den Labels über den Tisch ziehen lassen. "Macht so viel wie möglich selbst, aber es gibt Leute da draußen, die helfen euch."

Das ist der Punkt. Eingeladen hatte die städtisch (unter)finanzierte Fachstelle Pop, die - auch wenn Ratgeber Renner wieder in Berlin ist - sowohl die Verwaltung als auch junge Musiker höchst kundig betreut. Julia Viechtl, Klaus Martens und Christoph Treuberg bieten Kurse von Tontechnik bis Bandmanagement an. Sie laden alle Interessierten zum monatlichen Branchentreff "Cheers" ein, bei dem etwa kommenden Montag die Ergebnisse der große Probenraumstudie bekannt gegeben werden. Und sie organisieren das erste große "Pop-Hearing" der Stadt am 3. Dezember von 13 bis 21 Uhr. Es können sich noch alle bewerben, die Musik nicht nur konsumieren, sondern deren Rahmen verstehen und mitgestalten wollen. Dass es davon in München reichlich gibt, hat man in der Kranhalle wieder gesehen, und das ist schön.

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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