Das ist schön:Farbenspiel um Blau

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Das Staunen über analoge Kunst im digitalen Zeitalter: asiatische Besucher vor der Briefleserin. (Foto: Alte Pinakothek)

Die Wiesn mag Massen anlocken, mancher Tourist zieht Kunst vor

Von Susanne Hermanski

Beim Wörtchen Blau gibt es in diesen Tagen nur eine Assoziationskette. Die führt direkt in die Wirtsgasse auf der Theresienwiese. Augustiner, Paulaner, Löwenbräu und ab unterm - fahrbaren - blauen Plastikzeltchen ins deutlich größere Sanitätszelt. Ja, als das Rote Kreuz noch zuständig war für die Bierleichen des Oktoberfests, waren deren Interimssärge mit dem Guckfenster für den Liegenden auf der Rollbahre noch Gelb. Durchs Fensterl sieht der Blaue unterdessen heute noch den weißblauen Himmel Bavariens. Es gibt aber auch Gäste (und Einheimische) in dieser Stadt, denen nach anderen Farbenspielen der Sinn steht. Die nämlich besuchten in den vergangenen Wochen und Tagen nicht etwa die Schützenliesel, sondern eine lesende Dame. Genauer gesagt, die "Briefleserin in Blau".

Zu sehen war sie in der Alten Pinakothek, und sie war dabei selbst eine Reisende. Das nicht besonders große Bild des großen Meisters Johannes Vermeer (1632-1675) war eine Leihgabe aus dem Amsterdamer Rijksmuseum. Auch wenn die Kunsthistoriker das nicht so gewiss sagen wollen, zeigt es wohl die hochschwangere Frau des Malers selbst - in einem ungeheuer strahlenden, himmelblauen Kleid. Sie hat in den vergangenen drei Sommermonaten, da sind sich die Buchhalter der Bayerischen Staatsgemäldesammlung wiederum sicher, 100 000 Besucherinnen und Besucher angezogen. Das sind in etwa doppelt so viele wie üblich in diesem Zeitraum. Ein Blick auf Instagram genügt heutzutage, um sich zu überzeugen, wie bunt die Schar war, die sich vor dem Gemälde eingefunden hat.

Auch wenn die blaue Briefleserin gerade wieder abgereist ist, ein Besuch in der Alten Pinakothek lohnt dieser Tage besonders. Denn jetzt erst sind die Baugerüste ums Museum ganz verschwunden. Sie hatten immer noch einen Teil der neu eingerichteten Oberlichte im Obergeschoss abgedeckt. Die aber lassen die Highlights der Sammlung bei natürlichem Tageslicht erleben. Wer kann, macht dafür ruhig mal einen Tag blau. Denn dieses Lichterfest funktioniert nur, solang der Herbst so golden leuchtet und das Grau des Novembers die freilich bei Tageslicht gemalten alten Meisterwerke - speziell deren Blau - nicht doch wieder unters Kunstlicht zwingt. Und das ist schön.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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