Das ist nicht schön:Säulenscheinheilige

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Prüdes Moraldiktat von Hütern des guten Geschmacks

Von Christiane Lutz

Die Menschheit ist nicht schön. Das ist eine Erkenntnis, die nicht zuletzt das Theater immer und immer wieder vor Augen führen will. Als Ort, an dem das Innerste nach außen gekehrt und der Mensch in all seinen Abscheulichkeiten gezeigt wird. In Lars Noréns Stück "Dämonen" ist das nicht anders. Da treffen zwei Paare aufeinander, die längst vergessen haben, wie Sich-Lieben geht. Am 17. April ist am Volkstheater Premiere von "Dämonen" in der Regie von Nicolas Charaux.

Das Theater hat das Drama mit einer Szenerie bebildert, die für viele die Hölle wäre - mit einem Paar auf einem Swinger-Campingplatz. Sie, nur mit Schürze bekleidet, eine Tätowierung über der linken Brust, steht mit einer Bratpfanne in der Hand vor dem Zelt. Er, auf einem Klappstuhl sitzend, reckt völlig nackt ein blaues Gipsbein von sich. Das Paar blickt ernst in die Kamera. Gleich kommt das Würstchen auf den Grill.

Die Fotografin Naomi Harris hat das Bild gemacht, es ist Teil ihrer Serie "America Swings". Das Plakat wurde nun von der Werbefirma Ströer verboten und darf nicht an den Litfaßsäulen hängen, die Ströer als Werbefläche vermietet. Begründung: Das Bild verstoße "gegen den guten Geschmack". Unternehmen, die Plakate von halbnackten Frauen mit offenen Mündern aufhängen, die für Joghurt oder Versicherungen werben, haben es da wesentlich leichter, obwohl deren sexistische Inszenierung des weiblichen Körpers weitaus bedenklicher ist.

Dass das Volkstheater dieses Foto ausgewählt hat, ist natürlich mehr als simple Provokation. Im Stück geht es um Menschen, die nichts mehr voreinander verstecken müssen, aber nicht mehr wissen, was sie voneinander wollen. Die totale innere Entblößung ist in "Dämonen" alles andere als sexy und wirkt auf manche so abstoßend wie ein Swinger-Campingplatz. Deshalb passt das Motiv, das nun leider an keiner Litfaßsäule der Stadt zu sehen sein wird. Die beiden Swinger sind vielleicht nicht gerade schön, deren Abbildung zu verbieten, ist es aber noch viel weniger.

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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