Das ist nicht schön:Relevanz

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Alles nur "shabby"? Wenn Theater dahin geht, wo es wichtig ist

Von Egbert Tholl

Vielleicht ist es ein wenig seltsam, hier über eine Aufführung zu schreiben, die weit entfernt von München stattfand, nämlich in der Kohlenmischanlage der Zeche Lohberg in Dinslaken. Doch "Accattone", die Eröffnungsproduktion der Ruhrtriennale, wirkte vom Schauspieler-Personal wie eine Weiterführung der Johan-Simon'schen Kammerspiele, nur fand sie halt an einem ungewöhnlichen Ort statt.

Nun ist die Ruhrtriennale stets schon ein dezentrales Festival gewesen, sprich, sie bespielt verschiedene Orte im Ruhrgebiet, die allermeisten davon sind ehemalige Produktionsstätten des Bergbaus oder der Stahlindustrie. In Lohberg, einem Stadtteil von Dinslaken, wurde vor mehr als 100 Jahren begonnen, Kohle abzubauen; die Zeche war bis 2005 in Betrieb. Bereits in den Fünfzigerjahren bemühte man sich dort, Gastarbeiter etwa aus der Türkei oder dem damaligen Jugoslawien für den Bergbau zu gewinnen. Dieser, der Bergbau, wurde dann nach und nach abgewickelt, was blieb, war die bunt gemischte Bevölkerung des Ortes. In jüngster Zeit erlangten nun Dinslaken und gerade der Stadtteil Lohberg eine etwas bizarre Berühmtheit: Bis zum Jahr 2014 zogen von dort aus mehr als zwei Dutzend Jugendliche in den Krieg. Nach Syrien. Für den IS.

Aus diesem Grund beschloss man bei der Ruhrtriennale, erstmals die ehemalige Zeche in Dinslaken zum Spielort zu küren. Zwar ist nicht unbedingt zu erwarten, dass nun alle potenziellen Gotteskrieger des Ortes sich die Bachkantaten in Simons' Inszenierung von Pasolinis Arbeitslosendrama anhören. Aber das Festival zeigt einem eher unwirtlichen Ort, dass er zu viel mehr taugt als zu negativen Schlagzeilen. Und das Publikum muss sich mit einer Lebensrealität auseinandersetzen, die es kaum wahrhaben will. Das ist schön.

In München hat Matthias Lilienthal, der neue Intendant der Kammerspiele, auch einen Brennpunkt ausgemacht, die Innenstadt. Deshalb kann man diese nun im Projekt "Shabbyshabby Apartments" bewohnen, in Hüttchen vor dem Isartor oder an der Maximilianstraße, um sich bewusst zu machen, dass Wohnungen in München teuer sind. Bei dem Projekt läuft man Gefahr, dass einen in der Nacht ein Hund anbrunzt, wie man es vor eineinhalb Jahren bei der sicherlich auch von großer Wohnungsnot gebeutelten Stadt Mannheim erleben konnte - das war's dann auch. Während die Kammerspiele unter Frank Baumbauer im hintersten Hasenbergl Theater machten und die Jugend von dort in die Innenstadt holten, sinniert man nun über Mieten an Orten, die im Luxus ersticken. Schön?

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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