Das Internetvideo der Woche:Frontale Überraschungen

Lesezeit: 2 min

Im Wirbelsturm der Bilder: Das Langweiler-Genre Diaschau wird im Netz lustvoll wiederbelebt - "Funny Pictures" in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Mein Großvater hatte auch eins, aber daran, dass die Familie diese Art von Entertainment herbeigesehnt hätte, kann ich mich nicht erinnern: ein Fotopräsentationsset, bestehend aus Leinwand und Diaprojektor. In einem Loriot-artig historischen Humor verkörpert die Diaschau als visuelles Äquivalent zum Ungewollt-Zugetextet-Werden den Horror der Langeweile. Dem Dia gelang als Privatmedium der Generationensprung nicht: Schon die Eltern hatten kein Interesse mehr daran, und die jüngsten Generationen wissen gar nicht mehr, wie ein Dia aussieht. Dias bestehen allein fort in den zahllosen Reise-Multimediaschauen, die durch die Mehrzweckhallen der Städte tingeln.

Lustvoll wiederbelebt wird die Diaschau, wenn auch nicht in ihrer konkret materiellen Form, so doch in ihrer Erzählstruktur, im Netz: Beim Fotoportal flickr.com sind die sogenannten Slideshows das Erzählformat, in dem sich die enormen Bildermengen kurzweilig konsumieren lassen: Im individuell ausgewählten Tempo laufen die Fotos über den Bildschirm und bleiben wenige Sekunden stehen, ehe sie ins nächste Motiv überblenden.

Was diese Slideshows attraktiv macht, ist das Gegenteil der meist monothematischen Langeweile der Diaschauen: Slideshows sind vergnüglich wegen der Unberechenbarkeit des nächsten Motivs. Sie strukturieren das Material nämlich nicht inhaltlich, sondern dienen allein als mechanische Bilderpflüge, die den User entlasten, indem sie das Angebot in seiner ganzen Breite auffächern. Wie angenehm es ist, die Maus mal nicht klicken zu müssen: Das bewahrt vor einer Sehnenscheidenentzündung und ermöglicht ein entspanntes Zurücklehnen. Wie zu Zeiten analoger Medien ist die Mitarbeit des Users einmal nicht gefragt, sondern er darf sich von den für ihn aufbereiteten Bildern unterhalten lassen.

Immer in Bewegung bleiben

Auf den Filmportalen des Netzes findet man viele Slideshows, die "Funny Pictures" zusammenzustellen versuchen, dabei das neue alte Genre jedoch erst erproben - es ist nicht ausgereift und muss noch zur Meisterschaft geführt werden. Der Bilderpool, aus dem man sich bedient, ist stets der gleiche: Witzpostkarten, Werbungsparodien, Amateur-Schnappschüsse, Fotomontagen, Tiere in vermenschlichten Situationen, biologische Abnormitäten, Sportfotografien, Momentaufnahmen von Missgeschicken oder Stierkampfunfällen. Es kommt aber keine Schadenfreude auf, sondern Mitleid, weil die Fotografien das Unangenehme der Situationen deutlich machen. Slideshows vereinen die genauen Eindrücke, die nur Standbilder ermöglichen, mit der Bewegung des Films.

Wie früher beim Diavortrag, bleiben auch heute nur einzelne Bilder-Highlights im Gedächtnis. Manches ist gar verstörend. Es ist gut, dass man die Bilder nicht lange ansehen muss: Weder als Film noch als Foto würde man sie ertragen, sie sind im Zwischenreich der sekundenlangen Slideshow-Einblendung bestens aufgehoben. Auch Bilder haben also eine Temperatur, an manchen verbrennt man sich, wenn man sie zu lange festhält, man muss mit ihnen jonglieren, sie in Bewegung halten.

Foto-Refrain

Alle "Funny Pictures"-Slideshows arbeiten mit obszönen Schockeffekten und Tabuverletzungen. So findet man in den meisten Bilderfolgen mindestens ein Motiv, das man niemandem zumuten möchten. Die Verletzung eines wie auch immer gearteten "guten Geschmacks" gehört zur Überraschungsslideshow dazu - in Umkehrung zum Diaabend der Vergangenheit, der Harmonie erzeugen wollte.

Dort lag der Irrtum in der Idee, mit der Präsentation eigener Urlaubsfotos den anderen etwas Gutes zu tun. Die aktuellen Slideshows hingegen sind defizitär, weil sie zu sehr auf oberflächliche Provokation setzen, anstatt dem sich im Medienalltag aufstauenden Bildermüll hochklassige Motive entgegenzusetzen.

Wie eine gute Slideshow aussieht, zeigt der Clip "ultimate slideshow". Es handelt sich um eine Coverversion des Videoclips zum Song "Ultimate Showdown" von Lemon Demon, im Original eine Flash-Animation, die aufgrund ihrer deutlichen Bildsprache eine beliebte Coverversionsvorlage ist.

Jessethegimp101, so der Name des Users, der die "ultimate slideshow" geschaffen hat, findet originelle Bilder, die genau auf den Songtext passen. Die Bilderfolge ist so virtuos wie schnell, sodass man den Clip sogar anhält, um den Inhalt einzelner Motive zu entziffern. Schön, wie sich im Refrain nicht nur die Worte, sondern auch die Bilder wiederholen: Shaquille O'Neal, Abraham Lincoln, Jackie Chan, kollektiv bekannte Bilder als Objets trouvés. Jessethegimp101 erweist sich als Kenner und Handwerker des Pop, seine Slideshow ist ein Rap in Bildern.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: