Das Internetvideo der Woche:Entflammbare Leidenschaft

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Passiert ja ständig, dass man eine Zigarette anzünden will, aber nur ein Kondom und eine Flasche Wasser bei sich trägt ... Wie man damit im Stil von MacGyver Feuer macht.

Christian Kortmann

Technischer Fortschritt zeichnet sich dadurch aus, dass man einen gewissen Standard persönlichen Komforts für selbstverständlich hält, den vorherige Generationen mühsam erarbeiten mussten: So schaltet man etwa das Licht an, ohne einen Gedanken an die Ingenieurleistungen zu verschwenden, die es möglich machten. Oder man dreht den Wasserhahn auf und fände es undenkbar, dass das Abwasser nicht geruchlos abtransportiert würde.

So hat man das noch nie gesehen

Wir benutzen Dinge, ohne dass wir selbst in der Lage wären, sie zu konstruieren, bauen also auf den Vorleistungen auf und verblöden zugleich. Denn die handwerklichen Fähigkeiten des Menschen werden in dem Maß geringer geschätzt, in dem der allgemeine Komfort zunimmt. Der Bastler, der trickreich durchs Leben kommt und individuelle Problemlösungen erdenkt, wird heute halb abfällig als Nerd (Not emotionally responding dude) bezeichnet, weil er sich in seine Arbeit hineinkauzt statt einfach nur locker im Workflow die Enter-Taste seines superflachen Laptops zu drücken. Kann der nicht endlich verstehen, dass wir keinen Computer mehr bauen müssen? Wir können ihn benutzen, und deshalb geht es voran: Diese Generation erarbeitet einen neuen Standard des Komforts, der der Zukunft Freiräume eröffnet.

Doch wenn ein Hilfsmittel kaputtgeht und man unfähig ist, es zu reparieren, oder man ein dringend benötigtes Gadget vergessen hat, wird einem bewusst, dass man vom Konstruktionsprinzip der Dinge abgekoppelt ist: Man kann sie nur nach dem vorab in sie gelegten Zweck benutzen. Selten zeigt man genug Geschick zur Improvisation und Unfunktionierung von Gegenständen, so dass sie einem in einer Art und Weise dienen würden, die nie vorgesehen war. Umso größer unsere Bewunderung für die Jongleure der Zweckmäßigkeiten: Spätestens seit dem einsamen Inselabenteuer von Robinson Crusoe wird die Geschichte der heldenhaften Beherrschung der Umwelt durch überlegene menschliche Improvisationsintelligenz immer wieder erzählt - zwischen 1985 und 1992 beispielsweise vom Privatagenten Angus MacGyver, Hauptfigur der Fernsehserie, die seinen Nachnamen trug.

Dank seiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse und seines pragmatischen Geistes konnte MacGyver Gegenstände dergestalt umfunktionieren, dass sie ihn aus jeder noch so aussichtslosen Lage retteten. Mit seinen Standardwerkzeugen Schweizer Armeemesser und einer Rolle Klebeband würde er in genialer Manier aus einem Pfund Mehl, einer Banane und ein paar Büroklammern eine Splitterbombe basteln. Diese Fähigkeit faszinierte das Publikum so sehr, dass die Charakteristika der Kunstfigur in die Sprache einflossen: Der Bau solch eines zweckentfremdeten Wunderwerkzeugs ist ein "MacGyverismus", das entsprechende Verb lautet "macGyvern".

Genau dies tut der Mann im Clip "Use Condom To Make Fire!" - er macGyvert: Er zeigt, wie man mit einem Kondom und einer Flasche Wasser ein Feuer entzündet. Naturwissenschaftliches, speziell optisches Know-how ist auch hier nötig: Das Kondom wird zur formgebenden Hülle einer Linse aus Wasser umfunktioniert. Besonders effektvoll ist dieser MacGyverismus, weil die Bedeutungsfelder von Gegenstand und Zweck denkbar weit voneinander entfernt sind: Hört man das Begriffspaar Kondom und Feuer, wird man unweigerlich zum Synästheten und riecht verbranntes Gummi. Deshalb staunt man, dass ein Kondom auf solch kühle Art zum Feuermachen eingesetzt werden kann: So hatte man das Verhütungsmittel noch nie gesehen.

Aus einer Dose Ravioli

Die Idee des MacGyverns kommt im Medium Internetvideo ideal zum Ausdruck: Hätte ein Physiker das Kondom-Wasserlinsen-Prinzip an einer Schultafel erklärt, hätte man es wohl geglaubt, in Bild und Tat aber ist es sofort experimentell verifiziert. Deshalb kann es sich der Clip leisten, auf eine Tonspur zu verzichten - er vertraut ganz auf die Neugier des Publikums, das einen verblüffenden Beweis erwartet.

MacGyvers Erbe lebt also im Netz fort, nicht zuletzt in den kongenialen Ehrerbietungen der Fans: Man findet auf den Videoportalen zahlreiche Clips, in denen die Titelmelodie von "MacGyver" auf Gitarre, Klavier oder anderen Instrumenten nachgespielt wird. Schön, ganz nett, kann man machen. Der User Kipppe aber hat den Geist der TV-Serie wahrlich erkannt. Auch er spielt das "MacGyver"-Thema nach, aber nicht auf einem Musikinstrument, sondern auf einem Lineal. Die Tonhöhen variiert er, indem er das vibrierende Teilstück des Lineals verkürzt oder verlängert.

Kipppe schüttelt die Melodie so fix und flüssig aus dem Handgelenk, wie MacGyver aus einem Nussknacker und einer Dose Ravioli eine tückische Stolperfalle basteln würde. Kipppe hat es verstanden: Er macGyvert das "MacGyver"-Lied!

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