Das Internetvideo der Woche:Dr. Lecters Schnellimbiss

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Kino muss schneller und härter gehen - wir haben ja nicht ewig Zeit: auf fünf Sekunden eingedampfte Hollywood-Blockbuster wie "Titanic" und "Das Schweigen der Lämmer" in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Es geht die Legende, im fernen Hollywood müsse ein Drehbuchautor oder Regisseur einem Produzenten in einem Satz erklären können, wovon der geplante Film handele. Mehr Aufmerksamkeit bekomme der Kreative nicht, um den Geldgeber von seinem Projekt zu überzeugen. Dieses Szenario ist eine plastische Zuspitzung der auf Wirkungsdramaturgie ausgerichteten amerikanischen Unterhaltungskultur.

Der User 5secondmovies überprüft die Pointierungsthese durch eine nachträgliche Probe aufs Exempel und dampft Filme und ganze Filmzyklen auf "fünf Sekunden" ein. In kürzesten Bilder- und Dialogfolgen stellt er den Wirkungskern des Werks heraus. So pflügt 5secondmovies durch die jüngere Filmgeschichte und stellt neue Clips teilweise im Stundentakt auf seine Website.

Besonders gelungen ist der Zusammenschnitt vom "Schweigen der Lämmer", in dem sich die Hauptfiguren Clarice Starling (Jodie Foster) und Hannibal Lecter (Anthony Hopkins) abwechselnd beim Namen nennen. Sie stimmen stets eine ähnliche Sprachmelodie an, die ihr Verhältnis charakterisiert: Clarice spricht ehrfurchtsvoll-flehend von "Dr. Lecter"; er hingegen nennt sie mit seiner von Kubricks "2001"-Computer Hal inspirierten Modulation väterlich-professoral beim Vornamen. An der richtigen Stelle wird diese serielle Wiederholung von Lecters lefzenflatterndem Schlürfen unterbrochen, welches das dramatische Drohpotenzial des Films akustisch widerspiegelt.

Noch jemand hungrig?

5Secondmovies' Kunst der Reduktion, eine Eiche in einen Bonsai zu verwandeln, liefert eine treffende Interpretation. Es geht im "Schweigen der Lämmer" nämlich genau um dieses Umeinandertanzen der beiden Raubtiere Sterling und Lecter - Regisseur Jonathan Demme zeigt sie meist durch Gitterstäbe hindurch. Lecter ist zwar nur weniger als 17 Minuten auf der Leinwand zu sehen, durch Hopkins' markantes Spiel aber in jeder Sekunde präsent.

Die Kinokultur, eine der Vorläuferinnen des Internetvideos, wird von 5secondmovies ins neue Medium überführt. Denn durch die Beschränkung der Filmlänge auf zehn Minuten stellen YouTube-Clips etwas fundamental Anderes als Internet-Fernsehen dar. Ehedem passiv rezipierte Bilder der Kulturindustrie werden respektlos gestürmt, das Publikum schlägt, nachdem es ein Jahrhundert lang von Kino und Fernsehen mit Bewegtbildern bombardiert wurde, zurück: Am Ende von "Jurassic Park in 5 seconds" fragt Richard Attenborough frohgemut "Who's hungry?", eine Szene vom Beginn des Films, obwohl wir im Kurzclip schon Dinosaurier gesehen haben, die Menschen verspeisten.

Unsinkbar, Eisberg, Blubb

5secondmovies bringt satirisch verstärkt die Katastrophen-Atmosphäre von "Jurassic Park" zum Ausdruck. Der Film beinhaltet einige von Steven Spielbergs besten Sequenzen, unter anderem das erste Erblicken der Saurier: Dr. Sattler (Laura Dern) richtet sich im Jeep auf, und ohne zu sehen, was sie sieht, weiß man, was sie sieht. Es ist also keine Denunziation Spielbergs als Regisseur reißerischer Effekte, sondern eine Würdigung seiner Bilderfindungskraft, dass diese Bilder auch außerhalb des dramaturgischen Zusammenhangs ihre Bedeutung behalten.

Während ein Trailer (oftmals nicht zu erfüllende) Erwartungen an einen Film wecken soll und deshalb Kernbilder nur skizziert, wirft der Fünf-Sekunden-Zusammenschnitt einen illusionslosen Blick auf das Werk und seine Wirkungsgeschichte: Radikal verfährt 5secondmovies bei "Titanic", indem er nur den Ausspruch "The ship can't sink" und den Untergang mit dem Blubb zeigt, untermalt von Céline Dions Heulbojenarie.

Reichtum des Bettlers

Jegliche Aufnahme aus dem Mittelteil, in dem Kate Winslet und Leonardo DiCaprio stundenlang das Fundament ihrer Weltkarrieren mit einer soliden Schicht Schmalz verfestigten, erspart er uns.

Erstaunlich, wie viel vom Gehalt der Filme übrigbleibt, wenn man sie auf weniger als ein Tausendstel ihrer ursprünglichen Länge reduziert. Man könnte nun eine große Redundanz der Filmerzählung vermuten und unterstellen, dass das Hollywood-Kino uns bloß zerstreut. Doch dass ein Ausschnitt für das Ganze steht, spricht nicht gegen einen Film, sondern für ihn.

Denn dieser fraktale Charakter beweist seine Verdichtung auf einen erzählerischen Kern, der in jedem Moment des Films vorhanden ist. Dass wir uns Filme trotzdem gerne anschauen, obwohl wir meist wissen, wie sie enden, ist Beleg für ihr Gelingen: Denn sie faszinieren durch mehr als die Handlung, die der Regisseur in einem Satz unterbrachte, als er den Produzenten anbettelte.

Sondern durch schauspielerische Präsenz und den kunstvollen Umgang mit Licht und Ton, Dinge, deren Wirkung im Verkaufsgespräch noch nicht absehbar ist.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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