Das Internetvideo der Woche:Die Kunst der Belloquenz

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Hunde sind die besten Zuhörer der Welt: Sie legen den Kopf schief und signalisieren verständnisvolle Zustimmung. Doch manche antworten sogar - sprechende Hunde in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

"Laber mir doch kein Chappi ans Ohr!" - Wenn Hunde reden könnten, hätte man diesen Satz schon oft gehört. Was müssen sich die Wolfsnachfahren nicht alles anhören auf langen Waldspaziergängen, während öden Abenden in Single-Wohnungen oder auf dem Stehempfang in Paris Hiltons Hundetäschchen: Liebeskummer, Arbeitsärger, melancholisches Allgemeinschwadronieren und immer wieder den Satz: "Wenigstens du verstehst mich."

Das tun sie auch, eben weil sie nichts verstehen, dafür aber einmalig gut zuhören können. Wie angenehm: Einem Hund kann man alles erzählen, ohne von einer Antwort enttäuscht werden zu können. Hunde - und auch manche Menschen haben diese Technik perfektioniert - achten einfach mehr auf den Klang der Stimme als auf den Sinn des Gesagten. Doch nicht alle Hunde begnügen sich in ihrer Reaktion mit Schwanzwedeln und Kopf-Schieflegen - manche, welch ein Schock, reden zurück!

Wer aus dem Hunde spricht

Wir erinnern uns an den denkwürdigen Auftritt eines sprechenden Hundes in Thomas Gottschalks Show "Na sowas!". Ihm (dem Hund) musste, sozusagen als Mundorgel, ein Pantoffel in die Schnauze gelegt werden, dann quetschte er mühselig ein "Mama" hervor. Das war der Höhepunkt und zugleich das Ende der sprechenden Hunde im deutschen Showgeschäft. Und die Wissenschaft beschäftigt sich, wo es um das Sprachvermögen von Tieren geht, vor allem mit Menschenaffen, Graupapageien und Delphinen.

Sprachvermögen bei Hunden, etwa beim durch "Wetten, dass...?" berühmt gewordenen Border Collie Rico, der 200 Gegenstände auf Zuruf unterscheiden kann, gilt als Ausnahmeleistung. Aktive Sprachbeherrschung von Hunden wird als unseriöse Jahrmarktsnummer betrachtet.

So sind die "Talking dogs" im Internetvideo bestens aufgehoben, da hier, fern einer auf ein Mindestmaß an Seriösität bedachten Zugangsschwelle (die selbst das vielgescholtene Privatfernsehen hat) Ideen auf fruchtbaren Boden stoßen, die erkennbar unsinnig sind und genau deshalb weiter verfolgt werden wollen: Der Jäger und Hüter wurde durch das reine Haushunddasein um seinen Job gebracht, und ohne berufliche Ebene fehlt Mensch und Tier oft der Bezugsrahmen für eine Beziehung. Bringt man seinem Hund das Sprechen bei, hat man zumindest ein gemeinsames Hobby, wie Paare, die verkünden: "Wir lernen jetzt Italienisch."

"I love my Mama", diese zutiefst menschliche Empfindung, scheint sich weltweit als erster Hundesatz durchgesetzt zu haben. Hund und Mensch sind aneinander gekettet: Für den Menschen ist der Hund ein tierischer Freund, für den Hund ist der Mensch in erster Linie Futterlieferant, was er ihm in Emotionen dankt. Frauchen betet die "I love my Mama"-Formel also mantraartig vor, um sich der, zumindest einseitig, tiefen Beziehung zwischen den Arten zu versichern. Wenn der Hund die vorgekauten Laut-Brocken dann halbwegs wiedergibt, ist das keine Liebeserklärung, sondern der erfolgversprechende Weg zur gastronomischen Belohnung.

Für Abwechslung in der Wortwahl sorgt ein Dalmatiner, der durch das Verwinden der Kehle ein tiefes "Hello" zustande bringt. Die Hunde haben unterschiedliche Stile, in denen sie die Sprechaufgabe umsetzen, aber alle klingen sie wie Bauchrednerpuppen: Aus den Hunden sprechen mehr die Besitzer als die Hunde selbst.

Mein stiller Partner

So sind auch die zeitgleichen Geräusche des lachenden Publikums ein integraler Bestandteil des Clips, denn es ist die beständige Lautäußerung, die die Simulation der Kommunikation zwischen Mensch und Hund aufrechterhält. Mensch und Tier raunen im ungefähren Bereich, dort, wo Laut vor Logik geht. Der Hund will akustisch stimuliert werden, damit er sich dazu hinreißen lässt, Töne von sich zu geben, die mit Wohlwollen als Sprache interpretiert werden können. Es wirkt wie eine Dressur, die nur im Moment wirkt, aber keinen Lerneffekt hat: Die Wörter müssen stets aufs Neue aus dem Hund herausgekitzelt werden.

Die Szene der Frau, die mit ihrem felligen Freund auf dem Sofa um die Wette heult, bis sie sich auf einen Ton einschwingen, beweist, dass der Versuch, Hunde zum Sprechen zu bringen, eine ewige Herausforderung ist, die niemals gelingen darf: Die Frau will bellen wie ein Hund, und der Hund reckt seinen Kopf höher und höher, als wollte er auf die menschliche Evolutionsstufe springen.

Doch dann würde das besondere Verhältnis zwischen Mensch und Hund eindeutig werden und damit zum Erliegen kommen. Jeder sprechende Hund muss demonstrieren, dass seine verbalen Ambitionen letztendlich sinnlos sind. Wenn der Mensch nämlich eins nicht verlieren will, dann einen Partner, der Freundschaft ohne kompliziertes Einander-Verstehen schenkt.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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