Das Internetvideo der Woche:Die Fakten und die Zoten

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Unausstrahlbar komisch: Wie sich die Redakteure des Satiremagazins Titanic mal als Schulklasse verkleideten und das fabelhafte Faktenmagazin Focus in München besuchten.

Christian Kortmann

Bei diesem Gipfeltreffen begegnen sich zwei Welten, verschleiert von derselben Berufsbezeichnung. Beide Delegationen bestehen zwar aus Journalisten, doch könnte ihre Arbeit unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite das Nachrichtenmagazin, das sich programmatisch "Fakten, Fakten, Fakten" auf die Agenda geschrieben hat; auf der anderen das Satireblatt, für das allein die Pointe zählt, die aus keinem Ticker kommt, sondern in der richtigen Stimmung erdacht werden will. Sie materialisiert sich in genial bösen Titelbildern oder wie jüngst in der Montage, die das Foto der verschollenen Madeleine McCann auf Haushaltsprodukten zeigte. Wenn der Journalismus ein Gebirge ist, dann sind Focus-Faktenbergbau und artistisches Titanic-Freiklettern zwei seiner Extreme.

Da kann der eine viel vom anderen lernen, man muss nur den ersten Schritt wagen. Deshalb machte sich die Titanic-Redaktion aus Frankfurt am Main im Jahre 1997 auf zu einer Klassenfahrt, um das fabelhafte Nachrichtenmagazin Focus in München zu besuchen, um, wie es auf der Titanic-Homepage heißt, mal nachzugucken, "wo die schönen großen Redaktionskonferenzen abgehalten werden, auf denen man montags dann Helmut Markwort in der Fernsehwerbung herumsitzen sehen kann, wo die Focus-Hefte zusammengeklebt werden und wo die Fakten, Fakten, Fakten eigentlich so herkommen (dpa-Ticker)." Das allein war eine gute Idee, noch besser ist, dass es Filmaufnahmen von der Klassenfahrt gibt.

Dieses mediengeschichtliche Dokument ist zwar schon zehn Jahre alt, findet sein Publikum aber erst, seit es vor einigen Monaten beim Filmportal YouTube eingestellt wurde: Der Clip "Zu Besuch beim Fakten-Magazin Focus" ist ein Ausschnitt der Pilotsendung von "Titanic TV", einem in den Neunzigern geplanten Fernsehableger des Satiremagazins. Harald Schmidt hatte damals die Produktion finanziert, doch mehrere Sendeanstalten lehnten die Show als "unausstrahlbar" ab. Im Netz sieht man nun, wie komisch Fernsehen sein könnte, wenn die Sender mutiger wären. Oder, wie man bei Titanic meint: "Der Pilot von 'Titanic TV' war so gut, dass er nie ausgestrahlt wurde."

"Dann wir so: Hää? So alt?"

Jugendlich locker und in bester Ausflugslaune hüpft die Titanic-Crew am Münchner Hauptbahnhof aus dem ICE. Um den Focus inkognito zu besuchen und dabei besonders harmlos zu wirken, gibt sich die Redaktion als zwölfte Klasse einer Berufsschule aus, die im Rahmen des Focus-Schülerwettbewerbs recherchiere. Alle Redakteure haben sich, obwohl der Schulbank längst entwachsen, einen jugendlichen Look zugelegt - weite Klamotten, Basecaps, Rucksäcke - der so überzeugend wirkt wie Heinz Rühmann als Gymnasiast in der "Feuerzangenbowle".

Doch die Tarnung genügt, um Einlass in Burdas heilige Hallen zu erlangen. "Die lassen hier jeden rein", sagt der Erzähler in seiner bewusst spätpubertären Haspel-Diktion. Es ist ein dauernder Lachgrund in diesem Clip, dass niemand die Verkleidung bemerkt und die erwachsenen Männer und Frauen tatsächlich wie eine Schülerzeitungsredaktion behandelt werden. Als sie erfahren, dass es Focus-Redaktionsmitglieder gibt, die älter als 50 sind, reagieren sie mit Erstaunen: "Dann wir so: Hää? So alt? Wir ham gedacht, hier ist alles modern so bei dem Magazin Focus."

Chef vom Dienst Reiner Lanninger, "eine kleine, bärtige Medienkugel", wie Titanic-Redakteur Martin Sonneborn 1997 in seinem Schulausflugsbericht in der Zeit schrieb, führt die Berufsschüler durch die Focus-Welt. "Wir haben die modernste Redaktion in ganz Europa, es gibt nichts Besseres", sagt er selbstbewusst, weil er mit keinem Widerspruch rechnen muss, und erläutert das journalistische Handwerk: "Lanni hat uns den krassen Tisch erklärt, an dem die immer, laber, laber, Konferenzen machen", lautet dazu der Kommentar aus dem Off. Wirklich komisch werden die Bilder erst durch solche Formulierungen des Erzählers, der vor lauter Ehrfurcht um angemessene Worte ringt: "Voll die geilen Computer, wo die dran sitzen und voll ackern mit dem Schreiben für den Journalismus."

Die Initiation in den Olymp der Nachrichtenmagazine gipfelt in der Schilderung des journalistischen Geheimwissens. Man müsse sich ein paar verdammt schwierige Dinge einpauken, erklärt der Chef vom Dienst, doch wenn man sie kapiert habe, machten sie einen nicht nur erfolgreich, sondern unantastbar: Es handele sich um die Namen der Hunde der fünf wichtigsten Comicfiguren der Welt, Pluto, Struppi und so weiter, und Martin Sonneborn (mit Neon-Oberteil) hat sichtbar Mühe, nicht in Lachen auszubrechen.

Da bleibt dem Erzähler, den zuvor noch die Arbeit mit Blindtext sehr gereizt hat, nur ein mögliches Fazit: "Wenn das so kompliziert ist da und schwer mit dem Journalismus, dann ham wir auch keinen Bock drauf." Klar, um Fakten, Fakten, Fakten sollen sich die anderen kümmern. Die Expedition aber war für die Titanic-Redakteure sehr erfolgreich: Sie haben beim Focus Pointen, Pointen, Pointen gefunden, auf die sie selbst nie gekommen wären.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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