Das Internetvideo der Woche:Die den Asphalt tätowieren

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Zwei Kontinente drehen durch: Fahrzeuge aus Europa und Afrika treten im Burn-Out-Contest gegeneinander an. 200 Liter Benzin auf 100 Kilometern ist ihnen der Spaß schon wert.

Christian Kortmann

Auf den Filmportalen des Netzes haben sich einige Filmgenres herausgebildet, von denen man vorher nicht geglaubt hätte, dass jemand sie sehen wollte, geschweige denn, sich die Mühe machte, sie zu produzieren. Jetzt aber findet man ein bis in die Feinheiten katalogisiertes Archiv des visuellen Fetischismus vor. Man denkt ja immer, man kennt schon alles - nun, das ist Quatsch: Ich staunte etwa sehr darüber, dass es Männer zu geben scheint, die Gefallen an Filmen finden, in denen sich mit Hot Pants und High Heels bekleidete Damen mit ihrem Auto im Matsch festfahren und dann (nicht ganz unerwartbar hilflos) versuchen, sich aus dem Schlamassel zu schieben. Solch einen Clip zeige ich heute aber nicht, das gucken wir uns demnächst mal nachts in einem sueddeutsche.de-Live-Ticker an, wenn es wieder eine langweilige Fernsehübertragung upzusexen gilt.

Heute geht es um ein anderes, ebenfalls automobilbasiertes Fetischfilmgenre, das "Burn-Out" genannt wird. Beim Burn-Out geht es darum, wenn ich die Regeln dieser Spezialdisziplin richtig verstanden habe, in möglichst kurzer Zeit das Profil der Autoreifen abzunutzen und mit dem Abrieb die Straße zu tätowieren, so dass zum einen schnörkelige Maori-Kringel und zum anderen schöne glatte Slicks entstehen.

Hupt hier denn keiner?

Es ist nicht ganz leicht, sich eine sinnlosere Beschäftigung vorzustellen, allein schon, weil es völlig zweckfrei ist, sich mit einem Fortbewegungsmittel auf der Stelle zu bewegen. Aber manchen macht es scheinbar Spaß und sie fühlen sich hinterher besser, immerhin ist es ihnen den einen Satz Reifen wert. Im Clip "A diferença entre o Drifting da Europa e o da África" sehen wir einen besonders interessanten Fall von Burn-Out, weil zwei Subgenres collagiert wurden, und nun zwei Ereignisse, die weit voneinander entfernt statt fanden, nebeneinander stehen. Durch ihre strukturell-formale Ähnlichkeit wollen sie zwingend miteinander verglichen werden: Im ersten Teil des Clips sehen wir den Auto-Burn-Out, im zweiten Teil sehen wir, dass der Trick auch mit dem Fahrrad funktioniert.

Der Sprache nach zu urteilen, spielt der europäische Teil des Clips in Portugal, ja, es könnte eine Stadtautobahn bei Porto oder Lissabon sein, jedoch auf gar keinen Fall in Deutschland. Burn-Outs scheinen nämlich in Portugal kein ungewöhnlicher Zeitvertreib zu sein, denn die anderen Verkehrsteilnehmer nehmen die vernebelten Pirouetten des BMWs hin, als handele es sich um ein ganz normales Fahrmanöver. Ja, sie weichen sogar rücksichtsvoll-höflich aus, damit er genug Platz hat für seine Gummivernichtung hat. Und der Fahrer des gelben Busses hält an, ohne sich zu beschweren, als überquerte vor ihm eine gebrechliche Seniorin die Straße. Als Kontrast mag man sich ausmalen, welches Hupkonzert losbräche, wenn ein Halbstarker so eine Nummer auf einer BRD-Stadtautobahn veranstaltete, zum Beispiel auf dem Münchner Mittleren Ring.

Afrika gewinnt

Nun ist der Clip in vielen der Varianten, die im Netz kursieren mit "Europe vs. Africa" betitelt, und diese politische Implikation kann man nicht ignorieren. Dafür hat man auch in den Klimawandeldebatten der vergangenen Wochen zu oft gehört, dass die wahren Probleme erst beginnen, wenn Asien und Afrika einen ähnlichen Grad der individuellen Motorisierung wie die Industrieländer erreichen. Oder... ja, vielleicht ist es umgekehrt, und die Auto-Szene spielt in Afrika. Auszuschließen ist dies nicht, aber wir bleiben bei der wahrscheinlicheren Lesart.

Im Clip "A diferença entre o Drifting da Europa e o da África" sieht man, dass es Menschen in Europa und Afrika gibt, die die gleiche Leidenschaft teilen, nämlich mit ihrem Fahrzeug auf der Stelle zu fahren, allerdings unterschiedliche Mittel wählen, diese zu verwirklichen. Das Auto startet wie aus der Boxengasse, sein Motor klingt frisiert, malt schreiend hochtourig einen Kringel, den so genannten Donut auf die Straße. Schnell erreicht das Auto den Punkt, an dem die Reifen mehr qualmen als der Auspuff, kein Problem: Neue Reifen stehen am Straßenrand bereit. Dann der Radfahrer: In weißem Gewand legt er sein Gewicht aufs Vorderrad, dreht einen ebenso schönen Donut. und lässt sogar den Hinterreifen qualmen.

Wenn man den im Titel formulierten Wettkampf ernst nimmt, so geht Afrika daraus als klarer Sieger hervor, weil der Anteil der menschlichen, körperlichen Leistung größer ist. Ja, anders als der Auto-Burn-Out, der ein in mehrfacher Hinsicht zweifelhaftes Hobby ist (weil er seine Mitmenschen nervt und, ja, Ressourcen verschwendet; laut Wikipedia benötigte man für 100 km Burn-Out 200 Liter Benzin) ist der Trick mit dem Fahrrad eine artistische Leistung. Wie beim Eiskunstlauf ist seine Kür deshalb auch mit Musik unterlegt, Motorsportfans hingegen wollen ja immer nur den Motor hören.

Man erkennt daran einen feinen Unterschied: In Afrika ist Burn-Out L'art pour l'art, in Europa Dekadenz. Nehmt das nächste Mal doch auch eure Fahr- oder Dreiräder, möchte man den Autoleuten zurufen, das ist billiger, stinkt nicht und macht weniger Lärm.

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