Das Internetvideo der Woche:Die blondierte Stimme

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Manche meinen, Ysabellas Performance sei so heiß, dass die Fenster beschlagen. Dabei singt sie uns nur ein Lied, aber wie sie es tut, das ist eine große Show.

Christian Kortmann

Eine blass geschminkte Frau steht in einer Black-Box und singt. Sie nennt sich ysabellabrave und wird kein Plattenstar werden, diese Prophezeiung kann man riskieren. Ysabella tanzt, aber sie wird wohl nie in Vegas auftreten. Denn zu Hause ist sie im Netz, in der Mischung aus privater Produktion und maximaler Öffentlichkeit: Das Fenster des Flashplayers wird zur Guckkastenbühne, man empfindet bei Ysabellas One-Woman-Show tatsächlich Intimität, so überzeugend ist sie inszeniert. Ysabella berührt sich beim Singen selbst, beißt in ihre Jacke und zeigt, wie die Musik sie physisch trifft.

An der Evolution von Ysabellas Konzeptkunst wird die Funktion eines Internet-Filmportals als Ausprobier-Plattform deutlich, auf der künstlerische Ausdruckswege entwickelt werden können. 50 Clips hat ysabellabrave bis heute eingestellt, man kann ihre Entwicklungsarbeit am Format beobachten. Ihr Debüt gab sie vor sechs Monaten mit dem Song "What I'll Do". Ihre Haare sind in diesem Clip noch dunkel, heben sich kaum vom Hintergrund ab, nur das Gesicht ist hell geschminkt.

Die Bedingungen des Körpers

Im Fortgang der Reihe rückt sie zunehmend Schultern und Hände ins Licht und nimmt vor dem nachtschwarzen Hintergrund statuettenhafte Posen ein. Ihre Stilisierung ist erst vollendet, als sich Ysabella die Haare blondiert, und der Hintergrund völlig abgedunkelt ist, weil dies die Teilung von Ich und Welt perfekt akzentuiert. Die Musikquelle (wahrscheinlich Playback) bleibt bewusst unsichtbar. Sie würde nur ablenken in der aufs Wesentliche reduzierten Darstellung. Wir sehen, wie Musik die Seele bewegt und welche körperlichen Konsequenzen dies hat.

Mit der Doors-Coverversion "Love Me Two Times" liefert ysabellabrave im Dezember 2006 einen ersten Höhepunkt. Zitathaft verwandelt sie sich dem berühmten Originalinterpreten an und verweist mit ihrer Lederjacke auf Jim Morrison. Ysabellas Bewegungen sind medienreflexiv, denn Videos, in denen User zu Songs tanzen, bilden ein eigenes Genre innerhalb der Internetfilme. Ysabella zitiert dieses Genre und steigert zugleich dessen Intensität, weil sie keine großen Gesten zeigt, sondern ihre innerliche Bewegung mit Kopf, Oberkörper und Händen nur andeutet.

In Singpausen blickt sie uns mit großen Augen an. "Ich kann nur ein paar Deiner Videos sehen, bevor ich eine Überdosis intus habe", kommentiert ein User. Ein anderer muss nach den Clips erstmal seine "beschlagenen Fensterscheiben" abwischen.

Es ist Ysabellas Stimme, die das Publikum mitten ins Herz trifft. Ysabella kann singen, nicht perfekt, aber faszinierend, ihr tiefes Organ voller Timbre verschafft ihr Präsenz. Bei "Love Me Two Times" schreit sie das Wort "Love" ekstatisch heraus, und ihre Stimme droht zu kippen. Man hört an dieser Stelle nicht schulmäßige Sangeskunst, sondern die Bedingungen von Ysabellas Körper.

Sie ist nicht allein

Roland Barthes beschrieb dieses Phänomen als "Rauheit der Stimme": "Wenn ich die Rauheit einer Musik wahrnehme und dieser Rauheit einen theoretischen Wert beimesse, so kann ich mir, da ich entschlossen bin, meine Beziehung zum Körper des Sängers oder Musikers zu hören, und da diese Beziehung erotisch ist, nur eine neue und ohne Zweifel individuelle, keineswegs jedoch subjektive Wertetabelle erstellen."

Jetzt, mit ihrer Interpretation des James-Bond-Titelsongs "GoldenEye", ist Ysabella auf dem vorläufigen Höhepunkt ihrer Kunst angelangt. Und der User wurde Zeuge beim Aufstieg eines Stars und seiner neuen Kunstform, die es so nur im Netz geben kann und die man serielles Ausdrucks-Karaoke nennen könnte. Abseits aller etablierten Feuilletons wird diese Internet-Kunst von den Usern feuilletonistisch begleitet: "Woody Allen würde Dich mögen. Du besitzt eine Kombination von solidem Talent und einer beinahe surrealen Unbestimmtheit, woraus sich Magie ergibt", lautet ein kluges Kompliment für ysabellabrave.

Kopf und Rumpf sind bei "GoldenEye" ideal ausgeleuchtet, das Make-up ist perfekt. Ysabella war nie natürlich, sondern sie spielt das Natürliche virtuos. Sie hat ihre Bewegung weiter reduziert und dadurch ihre Ausdruckskraft nochmals gesteigert. Das ganze Pathos des Songs bringt sie im Heben der linken Augenbraue unter. Das Wort "Knife" betont sie rau, die Hände dirigieren die Stimme. Ihre Gesten sind zu groß für den Bildausschnitt, man sieht nur einen verdichteten Teil.

Am Ende setzt sie ein selbstbewusstes Zeichen: Stumm blickt sie direkt in die Augen des Betrachters. Ysabella weiß, dass sie nicht alleine ist, wenn sie ihre Nummern aufnimmt; sie weiß, dass sie ihrem Zuschauer etwas gegeben hat.

Das Internet hat einen neuen Star: ysabellabraves allerneuester Clip, Cole Porters "Let's Misbehave", wurde seit dem 28. Januar dieses Jahres gut 420.000 Mal abgespielt.

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