Contergan-Regisseur Winkelmann im Profil:Es kostet Kraft

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Bei den 68ern rannte er mit Kamera in der ersten Reihe mit. In Moskau wurde sein Mafiafilm-Set mit Gewehren geschützt. Am heutigen Donnerstag läuft der zweite Teil des umstrittenen Contergan-Films von Regisseur Adolf Winkelmann.

Christopher Keil

Vor fünf Jahren saß Adolf Winkelmann im Sommer auf einem Berg in der Lombardei und las ein Drehbuch. Er hatte Urlaub, und seit Wochen war er mit seiner Frau im Gespräch darüber, wie das gemeinsame Leben jetzt verlaufen solle, da beide Kinder das Elternhaus in Dortmund verlassen hatten.

Identifikation kostet Kraft, sagt Regisseur Adolf Winkelmann. (Foto: Foto: dpa)

In dem Drehbuch ging es um eine Familie - eine Familie, der es gutgeht, bis infolge eines ärztlichen Fehlers die Tochter behindert zur Welt kommt. In "Engelchen flieg" inszenierte Winkelmann den Einfluss des behinderten Mädchens auf seine Familie und erhielt für den Fernsehfilm den Grimme-Preis (2004). Es war die Lebensgeschichte des Drehbuchautors. "Es war an der Zeit", sagt Winkelmann, "Familienfilme zu machen, aber ich hätte damit nie begonnen, wäre unsere Jüngste nicht gerade ausgezogen."

Als ihm die Kölner Produktionsfirma "Zeitsprung" und der Westdeutsche Rundfunk (WDR) das Thema Contergan anboten, nahm Winkelmann sofort an. Von Oktober 2005 bis Februar 2006 drehte er mit dem herausragenden Ensemble den Zweiteiler "Eine einzige Tablette". Wieder am Beispiel einer Familie erklärt Winkelmann den Contergan-Skandal der frühen sechziger Jahre in seinen privaten und gesellschaftlichen Auswirkungen. Bis vor das Bundesverfassungsgericht zog die Firma Grünenthal, der Hersteller des Schlafmittels Contergan, das schwere Fehlbildungen bei Ungeborenen verursachte, um die Ausstrahlung zu verhindern.

Das Hauptsacheverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Doch wenn an diesem Donnerstag in der ARD der zweite Teil des Arzneimittel-Dramas gelaufen ist, endet Winkelmanns Beschäftigung mit Familienschicksalen. Zwischendurch hat er noch die Fortsetzung des "Engelchen"-Films mit dem Titel "Das Leuchten der Sterne" gemacht. Regiearbeit, sagt Winkelmann, bedeute, "sich mit dem Stoff zu identifizieren". Die Identifikation habe ihn Kraft gekostet.

Adolf Winkelmann, 61 Jahre alt, ist Dortmunder. Seit vier Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Regie. Er hat jede Technik und jedes Genre probiert. Seine frühen Spielfilme sind Ruhrgebietskomödien. Es geht um arbeitslose Jugendliche, um Fußballfans, um Bergleute. Seit 1975 hat er eine Professur für Film an der FH in Dortmund. Deshalb kann er es sich leisten, selten Regieaufträge anzunehmen.

Seine Ausbildung bekam er in Kassel an der Hochschule für Bildende Künste. Anfänglich übte er sich als Experimentaldokumentarist: Er rannte bei den 68-er-Demos mit laufender Kamera in der ersten Reihe mit. 1978 war sein erster Kinoversuch ("Die Abfahrer") zu sehen. Nach den Komödien der Achtziger spezialisierte er sich auf Thriller. 1995 entstand "Der letzte Kurier": Eine Kunsthändlerin sucht in der russischen Mafiawelt nach den Mördern ihres Mannes. Gedreht wurde in Moskau, die später international ausgezeichnete Produktion von Bodyguards bewacht, die mit Maschinenpistolen patrouillierten.

In der freien Zeit fotografiert Adolf Winkelmann mit einer schweren Platten-Kamera Landschaften, bevorzugt in Italien. Seine Bilder und Filme sprechen für ihn.

© SZ vom 8.11.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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