Computerspiel mit Bernd Graff:Die Freihheitsstatue in Bagdad

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Einladung zum Vielvölkerball: Civilization, die Mutter aller Strategie-Päppelspiele, liegt in einer runderneuerten Version vor. Nicht nur ein Update mit erhöhtem Sucht-Faktor. Die Ohrfeigen von Katharina der Großen will man erlebt haben.

Bernd Graff

Fragen Sie einfach nicht danach, warum das so ist! Wir können es, offen gestanden, auch nicht erklären.

Aber es ist ein bisschen wie mit den Kartoffelchips: Man kann nicht nur einen essen - und dann wieder aufhören. Nein. Wer anfängt, beißt sich zumeist durch die ganze Tüte.

Nur - was ist hier die Tüte? Eben. Das kann man allenfalls notdürftig be- und umschreiben. Aber erklären, wirklich erklären kann man es nicht.

Nur dieses Kartoffelchips-Verhalten, das ist hier ähnlich.

Ein paar Fakten: Es geht um ein schier süchtig machendes Computerspiel, das inzwischen in der Version 4 vorliegt. Seine Spielidee hat sich seit "Version 1" tatsächlich nicht grundlegend verändert. Und - genau das ist auch gut so.

Die drei Vorläufer dieses Spiels haben sich bis heute mehr als 6 Millionen weltweit verkauft. Das ist definitiv nicht wenig für ein Spiel. Version 1 erschien im Computer-Pleistozän des Jahres 1991. Das Pleistozän, das Eiszeitalter, wurde früher Diluvium genannt. Und das klingt doch schon wie Delirium, finden Sie nicht auch? Ein Delirium seit dem Diluvium, also.

Dass man überhaupt auf erdgeschichtliche, wie überhaupt auf prähistorische Vergleiche kommt, hängt mit dem Spiel selber zusammen. Denn "Civilization", so heißt es, handelt von Geschichte. Beziehungsweise davon, wie, ob und dass man eine Kultur - seine "Zivilisation" - heil durch die Geschichte bugsiert: von der Wiege der Menschheit bis hin zum Wettlauf im All und der Erkundung fremder Sterne.

Das geschieht, indem der Spieler die fiktive Präsidentschaft von zunächst ein paar Siedlern übernimmt und ihnen rät, sich irgendwo im Dunkel der noch unbekannten Welt niederzulassen.

Das mit dem Dunkel ist wörtlich zu verstehen. Denn zum Spielstart sieht der Maximo Leader so gut wie nichts von der Welt, in der er seine Lieben befehligt. Also baut man eine Stadt und schützt sie mit ein paar Kriegern. Dann lässt man vielleicht eine Nahrungskammer bauen, damit die kleine Gemeinschaft nicht immer nur von der Hand in den Mund leben muss und so etwas wie Vorratshaltung lernt. Nach und nach lernen die Städter dann auch noch das Jagen und die Viehzucht. Überhaupt kommt man Runde für Runde voran. Auch militärisch. Denn da draußen, in diesem Dunkel, da lauert die Konkurrenz fremder Zivilisationen, die unter Umständen nicht nur Handel mit dem eigenen Völkchen treiben möchte.

Das ist das bekannte Spielprinzip. Es hat sich auch im neuen "Civ " - so, und nur so, wird das Spiel von den wirklich Civ-Gestählten genannt - nicht wesentlich geändert. Allerdings ist die Grafik tatsächlich ansprechender geworden. Man zoomt jetzt im dreidimensionalen Geschehen - fast vom Weißen im Auge des Feindes bis hinaus auf Weltraumhöhe. Das verschafft Überblick, der im Gewusel des Mit- und Gegeneinanders sonst verloren gehen könnte.

Der Spieler ordnet also an, was seine Städter zu tun haben. Dabei hat er eine gewisse Planung vorzunehmen, um seine Zivilisation einerseits nach innen fit für die Zukunft zu machen, bzw. wehrhaft nach außen. Und je besser es den eigenen Städtern geht, je mehr Handel sie mit anderen Völkern treiben, umso schneller können sie produzieren. Die Städte also sind ein kostbares Gut. Der Spieler muss sie folglich hegen und hüten (und verteidigen) und er muss seine Städter päppeln. Denn die fragen eben nach neuen Aufgaben, sobald sie nicht mehr mit dem letzten Auftrag beschäftigt sind. Unter anderem können sie Kolosseen und Bibliotheken für eigene Vergnügungen bauen. Sie können aber auch neue Siedler heranziehen, die in die weite Welt aufbrechen, um selber neue Städte zu gründen. Und die eben damit Schritt für Schritt das Dunkel der Welt erhellen - und so auch auf andere Zivilisationen zu stoßen, die den Fremden mehr oder weniger gesonnen sind. Die temperamentvolle Katharina die Große von Rußland etwa verteilt auch schon mal Ohrfeigen, wenn man ihr zur falschen Zeit ein Angebot unterbreitet.

"Civilization" ist die Mutter aller rundenbasierte Strategiespiele. Es hat ein Genre begründet und eine ganze Serie von konkurrierenden Welteroberungsspielen inspiriert, denen allerdings zumeist Tiefe und Konsequenz der Entscheidungen abgeht.

Einerseits sorgt die Runden-Strategie dafür, dass der Spieler ohne Stress planen und entscheiden kann. Andererseits ist er verdonnert, die Wirkung seiner Strategie, bzw. die Antwort auf gegnerische Schläge ebenso abzuwarten. Runde für Runde. Wie beim Schach.

Je nach Schwierigkeitsgrad, den man zu Spielbeginn wählt, machen einem die eigenen Lieben aber auch ganz schön das Leben schwer. Nicht alle Städter sind etwa von der nationalen Bedeutung eines Krieges zu überzeugen. Und so streiken sie eben. Wenn aber eine Stadt streikt, produziert sie nichts mehr. Und dann mangelt es dann genau an jenen kriegsentscheidenden Gütern, die man an der Front so dringend benötigt.

Doch das Prinzip der Eroberung, das schon dem ersten "Civ" unterlegt war, hat Star-Entwickler Sid Meier immer weiter ausdifferenziert. Inzwischen muss man nicht einmal mehr Krieg führen, um die Welt schließlich doch noch zu beherrschen. Dazu tragen neue Einheiten-Typen bei, die hier einmal die "Großen Persönlichkeiten" heißen, und zum anderen Missionare für alle Weltreligionen. Während die Persönlichkeiten produktionsbeschleunigend nach innen wirken - und so mittelbar auch den Handel mit anderen Nationen befördern, missionieren die Missionare für Gottes Lohn und zur höheren Beförderung jener Kultur, der sie entstammen. Keine Sorge: Civilization ist dabei nie "-istisch", alle Religionen werden gleich behandelt.

Gefragt sind in "Civ IV" jetzt also vor allem diplomatische Fähigkeiten und Anstrengungen - nach innen wie nach außen. Also ganz wie im richtigen Leben.

In der neuen Version hinzugekommen ist ein verbessertes Mehrspielersystem mit vielen Optionen. Man kann nun - wie beim Schach - sogar per Email gegeneinander spielen. Außerdem sind Online-Varianten möglich, in denen verbündete menschliche Spieler gegen die ziemlich ausgeklügelte KI der Computer-Zivilisationen antreten müssen.

So steuert und begleitet der Spieler seine Kultur durch die Äonen. Das passiert nicht immer realhistorisch synchron: Entwicklungen können früher oder später als in der wirklichen Geschichte erfolgen - und sie können auch an unterschiedlichen Orten gemacht werden. Die Freiheitsstatue in Bagdad ist möglich, der Eifelturm in Rom keine Seltenheit und das Internet wird manchmal auch in Berlin erfunden. Und wir können nicht nur sagen, wir seien dabei gewesen. Wir können sogar behaupten, dass wir es veranlasst haben. Vielleicht ist es das ja, was so verrückt nach "Civ IV" macht. Wertung: Civ IV ist intuitiv zu bedienen und zu verstehen, aber es ist bestimmt nicht immer leicht, darin zu siegen. Auch das sorgt für hohen Langzeitspaß - mit extremem Kartoffelchips-Faktor!

"Civilization IV" im Überblick:

Publisher: "2K Games" - eine Marke von "Take-Two Interactive".

für diese Version  neu programmierte Spiel-Engine

3D-Grafik - mit Zoom vom Weltall bis zur kleinsten Siedlung

angeblich mit Fans entwickelter Multiplayer-Modus - sowohl Player vs. Player, als auch kooperativer Modus möglich

Sieben Weltreligionen

neue Details - etwa Beförderungssystem, Geländeverbesserungen (Weingüter, Windkraft)

Karteneditor und Schnittstelle für frei programmierbare Mods (das sind Modifikationen: Fans können auch in Civ 4 eigene Szenarien entwerfen - angeblich nun wesentlich leichter)

insgesamt 18 Nationen mit 193 bedeutenden historischen Figuren, etwa Caesar, Gandhi, Dschingis Khan, aber auch Miles Davis, Pablo Picasso, Werner Heisenberg,...

 28 Weltwunder - und neue "Wunder-Filmchen"

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