Coldplay-Album: "Viva la Vida":Herr, führe uns nicht in Versuchung

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Was für ein Schock: Das neue Coldplay-Album taugt tatsächlich etwas. Sänger Chris Martin ist mehr als der Ehemann von Gwyneth Paltrow - er kann sogar tenorig brummen.

Dirk Peitz

Chris Martin ist ein tolles Feindbild. Nach allem, was man weiß, lebt der Coldplay-Sänger gesünder, als der Arzt erlaubt; er hält sich fern von jeder Droge und ernährt sich rein pflanzlich, wobei man aufgrund der Musik seiner Band gern annehmen möchte, dass Martin um jedes Obst und Gemüse, dass für ihn sterben musste, ein bisschen weint; er setzt sich für fairen Welthandel und Menschenrechte ein, er ist der Schauspielerin Gwyneth Paltrow ein guter Ehemann und den gemeinsamen Kindern Apple und Moses ein treusorgender Vater; seine Band ist basisdemokratisch organisiert und spendet angeblich zehn Prozent ihrer vielen, vielen Einnahmen.

Coldplay-Sänger Chris Martin (2. v.r.) in Sgt. Pepper's Uniform (Foto: Foto: EMI)

Martin ist also offenbar ein vom Glück überversorgter, dennoch bescheiden gebliebenerer, vorbildlicher Bürger - und ein totaler Langweiler. Und seine sagenhaft erfolgreiche Band hat bislang drei Alben mit öder Stadionrockmusik vollgespielt, deren vorzüglichste Eigenschaft war, dass man die einzelnen Lieder nicht voneinander unterscheiden konnte, aber alle immer unangenehm an U2 erinnerten.

Da trifft einen der Schlag

Jetzt also das vierte Album. Titel und Cover lassen wieder ganz Furchtbares erahnen, "Viva La Vida", ein, ach je, Frida-Kahlo-Zitat ist in weißer Farbe über das Motiv des Delacroix-Julirevolutionsgemälde "La Liberté guidant le peuple" geschmiert.

Aber weil das offenbar noch nicht reicht an Emphase und Bedeutungsschwangerschaft, muss ein noch bedeutungsschwangerer Untertitel her, ein Memento Mori: "Viva La Vida Or: Death And All His Friends". Coldplay machen eben schon vor der Musik beim Hingucken und Mitlesen schlechte Laune.

Doch dann kommt die Musik, und da trifft einen der Schlag: Die ist zum ersten Mal, na ja, wirklich gut. Voller kompositorischer Einfällen, abwechslungsreich in der Instrumentierung, sogar fröhlich ist sie manchmal. Wie konnte das nur passieren?

Die wahrscheinlichste Antwort ist: Coldplay haben den richtigen, eigentlich völlig falschen Produzenten engagiert - Brian Eno. Der ist, seine Verdienste bei Roxy Music und als Ambientmusiker mal beiseite gelassen, als Produzent mitverantwortlich für einige echte U2-Monstrositäten; aber eben auch für "Achtung, Baby", das eine interessante U2-Album, das diese Weltrettungsband vor sich selbst hätte retten können, hätte die das nur gewollt.

Guru ratloser Musiker

Eno ist anders als die meisten heutigen Produzenten kein klassischer Soundtüftler; er ist vor allem ein idealer Mann für den Überbau und das Gemüt von zu erfolgreichen Rockbands.

Wenn die nicht mehr weiter wissen, holen sie Eno als eine Art überbezahlten Musiktherapeuten. Der stellt ihnen angeblich dann noch mal die ganz einfachen Fragen: Wozu macht ihr Musik? Wie hört die sich denn überhaupt an?

Auf die erste Frage müsste Chris Martin wahrheitsgemäß geantwortet haben: Für Gott und die Welt, Gott zur Klage und der Welt zum Trost. So ganz hat er sich davon nun nicht abbringen lassen, Gott kommt gleich in der fünften Strophe vor und später immer wieder, aber zumindest hat Martin seine Ankläger- und Trösterstimme etwas gedämpft. Einmal schaltet er sogar sein Markenzeichen, das kippelnde Falsett, für einen Song aus und brummt einfach tenorig.

Hauch von Exotik

Die Musik, das zur zweiten Frage, hört sich schon vordergründig bunter an, weil Coldplay ein paar für sie exotische Instrumente benutzt haben und exotische Rhythmen noch dazu. Coldplay haben jedoch nicht versucht, eine Weltmusikplatte aufzunehmen, das wäre dann doch zu offensichtlich gewesen: Wenn einem gar nichts mehr einfällt als Stadion-Act, dann fällt einem als erstes die Globalisierung ein und Folkloremusik von irgend woher, Afrika, Südamerika, Osteuropa.

Coldplay tarnen den Folkloretrick einigermaßen, indem sie die für sie neuen Klangquellen und Strukturen zur dringend notwendigen Auffrischung ihrer bislang recht eintönigen Songarrangements verwenden. Auch eine Art Appropriationsgeste: Statt Lernen von den Alten mal Lernen von den Anderen.

Nur einmal wabert der altbekannte Coldplay-Nebel gar garstig, beim ersten Teil des Doppelstücks "Lovers in Japan/Reign of Love". Martins verhallte Piano-stakkati dazu erinnern an die frühen Simple Minds, der Klangteppich im Hintergrund könnte auch von "The Unforgettable Fire" und also aus dem Kopf von Brian Eno stammen, der so etwas "Soundlandschaften" nennt.

Wenn Petrus wüsste

Dieser Emo-Stuss für Erwachsene lässt sich nur deshalb aushalten, weil bald danach das großartige Titellied folgt: Streicher, simpler, vorwärts treibender Beat, darüber singt Chris Martin so klar er nur kann - dann zwar in der üblichen Martin-Metaphorik über Petrus und so, doch das lässt sich überhören.

In Wahrheit geht es um Liebe, aber anscheinend kann sich der Stadionsänger Chris Martin nicht kleindimensionierter ausdrücken. Man verzeiht es ihm nach diesem Album, das nicht so egal ist, wie man vorher hätte annehmen können.

Vielleicht taugt Chris Martin ab sofort nicht mehr als Feindbild. Bliebe immer noch Bono. Der nimmt sich gerade eine Pause von seinen G8-Gipfel-Auftritten und stattdessen ein neues U2-Album auf. Der Produzent soll Brian Eno heißen.

© SZ vom 13.6.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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